Artikel © Rocks - Mai 2025

 von Markus Baro

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2025 Rocks Magazin MOR 23

 

DER FUNKE DER

DIE KREATIVITÄT ENTFACHT

 

Nach 16 Jahren hat sich Chris Goss wieder zu einem neuen Album der nebulösen Masters of Reality hinreißen lassen. Darauf klingen die Heavy- und Psychedelic-Bluesrocker ungewohnt: ausgeruht und entspannt.

Chris Goss bringt nichts aus der Ruhe. Den Hype um seine Person, der ihn in den Neunzigern eher unfreiwillig zur Kultfigur der Desert-Rock-Szene machte, empfand er immer schon als unangebracht. Als Produzent habe er seinerzeit nichts weiter getan, als die Energie solcher Bands wie Kyuss so direkt und unverfälscht wie möglich einzufangen. Geheime Rituale, so erklärt er beinahe entschuldigend, habe es nicht gegeben. Die hätten wohlmöglich eher seiner eigenen Truppe Masters of Reality geholfen, ähnlich große Erfolge einzufahren – eine Herzensangelegenheit bleibt die nach dem dritten Black Sabbath-Album benannten Formation für Goss allemal.

 

Wohl deshalb fällt ihm auf die Frage, warum es 16 Jahre gedauert hat, ehe der Pine/Cross Dover-Nachfolger ins Presswerk wandern konnte, keine wirklich zufriedenstellende Antwort ein.

„Ich habe in den vergangenen Jahren das getan, was John Lennon „watching the wheels“ genannt hat. Unter technologischen Gesichtspunkten hat sich die Welt schneller gedreht, als je zuvor. In einem Moment gab es noch kein iPhone, im nächsten besaß gefühlt jeder eins. Dazwischen lagen wie viele Jahre? Zwei? Dass zudem überall auf der Welt beunruhigende Dinge passiert sind, hat meine Kreativität aber vor allem gelähmt.“

Hinzu kommen einige lebensbedrohliche Erkrankungen, etwa eine schwere Virusinfektion, die den Musiker für Monate außer Gefecht setzte und wochenlang ans Bett fesselte.

„Sobald ich mich wieder etwas bewegen konnte, habe ich erst mal AC/DC in voller Lautstärke gehört. Musik ist mein ganzes Leben lang mein Heilmittel gewesen und das empfand ich auch jetzt wieder“

Kaum einigermaßen genesen, beginnt er umgehend damit, wieder Songs zu schreiben. Für ein neues Album. Der Anstoß dazu bildet ein schon mehrere Jahre altes Fragment namens „Sugar“, das eigentlich gar nicht zum Masters-Stil passt. Aber viel wichtiger: Der beleibte Allround-Künstler hatte wieder richtig Lust bekommen. Der eingängige Rocker mit dem einnehmenden Refrain klingt jedoch ganz anders, als man es nach dem psychedelisch-knarzenden Bluesrock von Pine/Cross Dover erwartet hätte.

„Es ist eher ein Wiegenlied und allen starken Frauen gewidmet. Davon gab es in meiner Familie einige und sie waren in meinem Leben ungeheuer wichtig. Aber es stimmt schon, „Sugar“ hat ein wenig den Kurs bestimmt.

The Archer klingt ausgeruhter, entspannter und weniger Riff-lastig, als frühere Albern. Das kommt auch daher, dass mein Leben entspannter und ruhiger geworden ist. Ich verbringe meine Zeit hier in der Wüste, es gibt keine U-Bahn und keine Straßenkämpfe. Für mich gibt es keinen besseren Ort zum Leben.

Los Angeles ist nur eine zweistündige Autofahrt entfernt, aber in den letzten Jahren war ich nicht öfter als drei- oder viermal dort.

Hier in Joshua Tree lenkt mich nichts ab und nichts beeinflusst mich. Die neuen Songs klingen auch etwas kauzig und introvertiert, weil ich während des Prozesses meine Nussschale nicht mehr verlassen habe“

 

Technisch komplett im Dunkeln

Ausgeruhter mag The Archer auf den Hörer wirken, doch nicht alle Songs entstehen so unkompliziert, wie die erste Singleauskopplung. Diffizile Arrangements und unvorhersehbare Tonfolgen sind seine große Leidenschaft, die er vor allem in Liedern wie „Barstow“ oder „Powder Man“ auslebt.

„Es ist was dran, wenn man sagt, dass manche Lieder dreißig Minuten brauchen und manche 30 Jahre. Ich muss ausprobieren, mich herantasten, um zu erkennen, was ich eigentlich will.

Was die technische Seite anbelangt, tappe ich völlig im Dunkeln. Aber ich arrangiere sehr gerne, das ist, glaube ich, mein einziges richtiges Talent. Bei „Barstow“ hat es besonders viel Spaß gemacht, die einzelnen Elemente wie Piano und Chöre einzufügen, ohne dass das Stück nun überproduziert klingt. Als Kontrast mag ich „Mr. Tap n´ Go“, das sehr rau und unfertig klingt. Diese Bandbreite hätte ich mir mitunter für meine früheren Alben gewünscht.“

Völlig zufrieden ist Goss mit seiner Arbeit eh nur selten, auf der Bühne dekonstruiert er seine Lieder mitunter und setzt sie nach Belieben neu zusammen. Spannend durfte es werden zu erleben, wie sich das überwiegend songorientierte Material von The Archer im Freistil-Ansatz der Bühnenbearbeitung schlagen wird.

„Da wird mir schon was einfallen“, lacht der 66-Jährige. „Musiker sind doch ein wenig wie Maler. Beide erschaffen aus dem Nichts etwas, aber im Gegensatz zu einem Maler muss der Musiker das gleiche Kunstwerk Abend für Abend auf der Bühne neu erschaffen. Da brauchen die Lieder live einen gewissen Freiraum, das ist der puren Langeweile geschuldet. Die Improvisation ist das Mittel gegen diese Langeweile, so hat es schon Jimi Hendrix gemacht. Jeden Abend ein einstudiertes Programm abzuspulen, ist etwas, was ich mir partout nicht vorstellen kann.“

 

Das verbindende Element

Es ist wohl auch diese kompromisslose Einstellung, die den größeren Erfolg bislang verhindert hat. Masters of Reality gelten heute als das verbindende Element zwischen dem etablierten Hardrock der Siebziger und der neuen Garde aus den Neunzigern wie Kyuss, Danzig oder Soundgarden. Als die ihre ersten Platten veröffentlichen, ist Goss mit seinem Partner Tim Harrington an der Gitarre und einem primitiven Drum-Computer schon gut zehn Jahre im Geschäft.

„Geschäft ist wohl etwas übertrieben. Am Anfang kombinierten wir Kraftwerk mit Metal-Riffs und das führte nirgendwo hin. Irgendwann wurde es mit Tim ein bisschen wie in einer Ehe, in der du Tag und Nacht zusammenhockst und neben dem privaten auch noch alle geschäftlichen Dinge bewältigen musst. Obwohl wir und gut verstanden haben, war irgendwann eben die Luft raus. Wir waren im Begriff, uns zu trennen, da machte er den Vorschlag, dass wir uns Musiker suchen, ein einziges Demo aufnehmen und ein paar Gigs absolvieren sollten, um wenigstens etwas Greifbares zu hinterlassen.“

Gesagt, getan. Bassist Googe, Trommler Vinnie Ludovico und Keyboarder Mr. Owl bilden die erste vollständige Besetzung der Truppe, die nun einen spartanischen Neo-Bluesrock-Sound mit psychedelischen Spitzen pflegt. Der gefällt Produzenten-Spürnase Rick Rubin, der die Band für sein In-Label Def American unter Vertrag nimmt.

„Ich habe mich immer für die jeweiligen nächsten Schritte breitschlagen lassen, war immer bereit, die Reißleine zu ziehen, wenn es nicht mehr laufen sollte. Erst kam das Demo, dann liefen unsere Shows recht gut, und schließlich kam das Interesse von Rick. Ich konnte es Tim nicht antun, nach Jahren des Misserfolgs einfach alles wegzuwerfen. Und ich wollte selbst herausfinden, wohin uns das alles führen würde.“

Doch Goss bleibt misstrauisch. Dass Rubin darauf besteht, 1988 ihr erstes Album zu produzieren, stimmt alle im Umfeld der Truppe euphorisch. Er selbst hätte diese Aufgabe jedoch gerne selbst übernommen, zumal Rubin während der sechsmonatigen Produktionszeit die Keyboardanteile an den Rand drängt.

„Ich habe mich schon immer sehr für diesen Aspekt des Musikmachens interessiert, ich liebe die Beatles und habe ihre Produktionen regelrecht seziert. Rick hatte zweifellos Talent, aber selbst noch keine große Erfahrung auf diesem Gebiet. Und ich hatte kein gutes Gefühl dabei, diese wichtige Sache jemandem zu überlassen, der meine Vorstellungen nicht würde umsetzen können. Ich war überzeugt, dass ich das besser hingekommen würde, und das Ergebnis hat meine Befürchtungen bestätigt. Der Sound der Scheibe ist unendlich weit von unserem Bühnensound entfernt, und genau diesen hätte ich mir für die Platte gewünscht.“

 

Das verschollene Cream-Album?

Es ist allerding auch so ein Album mit Kult-Charakter. Der knochentrockene Sound verzichtet weitgehend auf Hall und Overdubs und setzt stattdessen auf luftige und räumlich klingende Gitarren und untermalende Hammond-Tupfer. Das Ergebnis sind Ausnahmelieder wie das Stoner-Riff-Instrumental „Theme For The Scientist Of The Invincible“, der mit Hammondorgel unterlegte Heavy-Psychedelic-Rocker „The Blue Garden“ oder das super-coole „Gettin´High“.

Dennoch löst Goss die Band ein Jahr nach Erscheinen  frustriert auf, reanimiert sie jedoch rund drei Jahre später: Wieder als Trio mit Googe, nun allerdings mit Cream-Legende Ginger Baker am Schlagzeug. 1992 erscheint das luftige Sunrise On The Sufferbus, dem man beinahe nachsagen könnte, ein verschollenes Cream-Album zu sein, weil es in ähnlicher psychedelischer Manier auf eine Reise durch unterschiedlichste Stimmungen der späten Sechziger und frühen Siebziger mitnimmt. Nach dem fröhlichen Boggie-Rocker „She Got Me (When She Got Her Dress On)” wird es im “J.B. Witchdance” gruselig, ehe sich das sanft-harmonische „Jody Sings“ als Liebeslied erhebt und die wunderbare Platte in flirrenden Sixties-Pop übergeht „Ants In The Kitchen“ und schließlich abbiegt in harten Stoner-Rock „V.H.V.“ und psychedelischen Heavy-Blues mit hörbarem Cream-Schlag „Tilt-A Whirl“ und „Rabbit One“.

„Ginger und ich haben wirklich hervorragend zusammenarbeiten können. Er war ein schneller Arbeiter, wollte die Platte aufnehmen und sofort auf Tour gehen, doch plötzlich begannen sich viele Menschen unserer Plattenfirma einzumischen. Jeder wollte seinen Teil vom Kuchen abhaben und jeder erwartete einen riesigen Geldregen, aber Ginger und ich wollten eigentlich nur Musik machen. Und so zog sich alles endlos in die Länge und Ginger verlor das Interesse.“

Der impulsive Trommler wirft schließlich entnervt das Handtuch und auch Goss zieht abermals einen Schussstrich.

Seinen ureigenen Sound führt eine aufregende neue Musiker-Generation um die Wüsten-Rocker Kyuss fort, deren erste drei Alben Goss produziert. Der „Pate des Stoner-Rock“ abteitet in der Folge auch für Acts, wie The Cult-Sänger Ian Astbury, Screaming Trees, die Foo Fighters oder Mark Lanegan.

Seine eigene Band reaktiviert er 1997 ein weiteres Mal mit Googe, Gitarrist Brendon McNichol und Schlagzeuger Victor Indrizzo für einige Live-Shows, die in dem intensiven Konzertdokument How High The Moon: Live At The Viper Room resultiern.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends veröffentlicht die Band die Studio-Scheiben Welcome To The Western Lodge, Deep In The Hole und Give Us Barabbas sowie den weiteren Live-Mitschnitt Flak´n´ Flight, bei dem Kuyss und Queens Of The Stone Age-Mastermind Josh Homme an der Gitarre zu hören ist. Nach Pine/Cross Dover beginnt eine lange Phase der Untätigkeit, die Goss nun beendet hat. Mit The Archer hat der Musiker auch ein Stück seines Seelenfriedens wiedererlangt.

„ich habe lange gezweifelt, ob tief in mir noch dieser Funke steckt, um die Kreativität neu zu entfachen und ich bin glücklich, dass es so ist.

Ich hätte mir gewünscht, die Masters hätten mehr Platten aufgenommen, aber so ist das Leben. Es steckt voller Überraschungen.“