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Interview und Foto von Bernd Skischally

 

Chris Goss, der Vater des Stoner-Rock, kämpft gegen einen Tsunami of Shit.

 

Chris Goss 2013 Tsumani

 

Dieser Mann ist ein gewaltiger Berg aus Sand und Rauch. Seit er die Alben von Kyuss produziert hat, gilt er als Daddy des Stoner-Rock. In Johnny Depps Viper Room hat er ein denkwürdiges Live-Album mit seinen Masters Of Reality aufgenommen. Und Josh Homme hat ihm schlicht seine ganze Karriere zu verdanken. Dennoch gehört Chris Goss nicht zu den wirklich schweren Jungs des Rock’n’Roll-Zirkus. Er hat keine alten Radio-Hits. Nicht mal eine fette Villa.

Meistens lebt er zurückgezogen in der Nähe des kalifornischen Wüsten-Städtchens Joshua Tree. Seine sperrige, selbstverliebte Art hat oft etwas guruhaftes. Goss kann sich das erlauben. Er singt mit Mitte 50 immer noch wie ein Engel. Ein gefallener vielleicht, einer der die Endlosigkeit längst verflucht. 

Dass Dave Grohl ihn dieses Jahr an seinem Kinofilm über die legendären Sound City Studios beteiligte, motivierte Goss, seine Band Masters Of Reality mal wieder zu reaktivieren. Als wir uns auf einem Festival treffen, trägt er eine üppig gewölbte, tiefschwarze Sonnenbrille unter der Glatze und ein schweres Amulett um den Hals. Im schwarzen Anzug wirkt der Koloss direkt schmächtig.

Noisey: Ganz unoriginell: Warum hast du deine Band eigentlich Masters Of Reality genannt? Wolltet ihr euch damit vor der Master Of Reality-Scheibe von Black Sabbath verneigen? 
Chris Goss: Wir verwenden den Namen schon seit 1981 und zu dieser Zeit waren Black Sabbath alles andere als cool. Es war nicht wie heute, jetzt hat jeder Respekt vor dieser Band. Damals war Ronnie James Dio der Sänger und man hat sie verachtet. Die ganzen Hipster haben 1981 Bands wie The Psychedelic Furs oder Kraftwerk gehört. 

Die waren natürlich großartig, ich fand sie auch toll. Aber irgendwie haben Leute immer diese Angewohnheit, etwas sehr zu mögen und dann nach fünf Jahren zu sagen: Fuck you. Bei mir ist das anders. Wenn ich etwas liebe, dann richtig. Ich werfe nicht einfach etwas in die Ecke, nur weil sich die Mode ändert. 

Schau dir Coco Chanel an! Ihre Kreationen stammen aus den 1940ern und sie sehen einfach immer noch umwerfend aus. Die Leute sollten endlich begreifen: Good art is good art. ’81 war also eine Zeit, in der es mir darum ging, die Musik-Intelligenzia anzupissen. Das war der Grund, wieso ich die Band Masters Of Reality nannte. Es war ein 'Fuck You' für die ganzen Punksnobs und Hipster von damals. Wir sind verdammt nochmal mit Black Sabbath aufgewachsen und ich verehre sie immer noch. Außerdem kommt Ronnie James Dio wie ich aus New Hampshire. 

Siehst du die Band auch abseits des Namens in der Tradition von Sabbath?
Ich wollte den Style, den Sabbath kreiert hatten, aufnehmen und vorwärts bringen. Deshalb benutzten wir anfangs auch nur eine Drum-Machine. Im Nachhinein muss man sagen, wir haben uns 1981 mehr nach Marilyn Manson oder Nine Inch Nails angehört als nach sonst wem. Die Masters Of Reality waren der Zeit wohl etwas vorraus. Aber ja, der Name war ein Fuck You! Ich mache so etwas gerne. Immer wenn Leute denken, sie hätten wieder etwas total Neues im Rock’n’Roll erfunden, sage ich: Fuck Off! There is nothing new under the sun. Respektiert einfach das was schon war. 

Du lebst in der Wüste. Trockene Hitze, Palmen und Pools—ist das Leben dort für dich eine Art bessere Realität?
Life is life. Es ist überall der gleiche Scheiß. Überall. Wirklich. Und die Wüste trage ich nicht als Patch oder sowas. Ich mag sie nur als Platz zum Leben. Sie ist ein Rückzugsort für mich. Die Deutschen sind bei uns in der Wüste gerade auf Platz eins was den Tourismus betrifft. Dafür gibt es bestimmt Gründe. 

Letzte Nacht, da war ich in Freiburg. Meine Familie stammt ursprünglich aus der Gegend. Es war schön, mal wieder dort zu sein. Aber, weißt du, die Wüste ist ein anderer Lifestyle. Sie ist ruhig. Sie gibt mir die Balance zu dem Krach, der mich sonst umgibt. Den Großteil meines Lebens habe ich es eher mit einem lauten, chaotischen Umfeld wie hier auf diesem Festival zu tun. Live spielen, laute Musik im Studio. Eine Menge aggressive und vulgäre Typen. Eine Menge Bullies. Junge, das das ist heftig auf Dauer.  

Dafür ist dann zu Hause Ruhe. Und ich genieße die Zeit dort vor allem deshalb. Den Platz und die Ruhe. Das inspiriert auch meine Musik. 

Du meintest mal, wenn du reich wärst, hättest du auch Appartments in New York und in Europa. Wohin zieht es dich in Europa?
Ich entscheide mich gerade. Aber sicher ist noch nichts. Ich bin heimisch geworden in der Wüste. Aber, ehrlich: ich vermisse das Wasser. Und ich vermisse das viele Grün. Ich hab’s in Freiburg wirklich sehr genossen. Vielleicht besorg ich mir irgendwas dort. Oder in der Schweiz. Auf jeden Fall irgendwo, wo es grün ist und es viel Wasser gibt. Im Winter wirst du mich aber in der Wüste sehen, da gibt es keinen besseren Ort. Für den Rest des Jahres darf es dann gern auch etwas anderes sein. Hauptsache es gibt gutes Essen und guten Wein. 

Lass uns noch über das Musicbusiness reden. Der Rock’n’Roll steckt gerade mal wieder in einer DIY-Phase. Mit Bands, denen große Labels egal sind und die einfach ihr Ding durchziehen. Ist das gut oder eher schlecht? In einem Interview meintest du kürzlich: Es wird eh alles immer schlimmer und profitorientierter…
Ich weiß nicht mehr genau was ich da gesagt habe. Aber ich denke: Es ist großartig, dass sich die Strukturen der großen Labels gerade auflösen. Seit den 1970ern, als die Maschine gemerkt hat, dass sie mit Rock’n’Roll unglaublich viel Geld verdienen kann, wurde immer mehr auf Masse produziert. Wenn irgend etwas Geld abwirft, wird es halt industrialisiert. Leider auch die Musik. Und über die Jahrzehnte wurde viel Geld verschwendet, gerade in den 80ern und 90ern. Die Labels pumpten Millionen von Dollars in Leute, die nicht mal singen konnten, die keine Stimme hatten, keine musikalische Seele, sonderen nur ein hübsches Gesicht. Ich meine, bei uns vor der Haustür, in Los Angeles, konnte man das am besten mit ansehen, wie die Leute immer reicher und asozialer wurden. Da macht es jetzt Spaß zu beobachten, wie dieselben Leute endlich schön auf die Fresse fliegen. Gerade weil das passiert, glaube ich daran, dass echte Künstler, die es wert sind und die wirklich hart arbeiten, immer überleben werden. 

Wenn du dafür kämpfst, dass deine Musik gehört wird, obwohl da draußen ein Tsunamie of Shit tobt, obwohl so viel, so unglaublich viel Scheißmusik fabriziert wird und es Millionen von beschissenen Bands gibt, die nur für MySpace und Facebook existieren…wenn du dich da durchkämpfst, egal wie hart es ist, dann werden dich die Kids finden. Die Kids finden den guten Scheiß schon. 

Was ist für dich momentan guter Scheiß?
Ich liebe Die Antwoord. Die sind fuckin’ großartig. Deerhoof sind auch fantastisch. Und natürlich gibt es noch einiges mehr, aber ich würde sagen, meine Favoriten sind momentan Die Antwoord. Da stecken einfach ganz offensichtlich wahnsinnig kreative Leute dahinter. 

Ich habe Masters Of Reality 2001 in München gesehen, da habt ihr vor weniger als 30 Leuten gespielt. Zwei Jahre später kamt ihr nochmal in die gleiche Location, diesmal mit Josh Homme an der Gitarre und Nick Oliveri am Bass. Da war der Laden komplett ausverkauft. Erinnerst du dich daran? 
Ich erinnere mich an die beiden Touren, von der zweiten gibt es auch eine Live-Platte. An genau diesen Club erinnere ich mich aber nicht.

Nun, das Faszinierende daran war: Auch das erste Konzert hat einen umgeblasen. Ihr hattet überall dampfende Töpfe mit Weihrauch und das Konzert war so intensiv, als stünden da 1000 Menschen mit euch im Raum. 
Ja, es gibt so Abende. Da freut sich zwar kein Veranstalter, aber ehrlich, mir ist es egal. Ich habe meine Garantiegage und spiele für die Leute, die da sind. Wenn nur 10 oder 15 Leute zum Konzert kommen, haben sie eben Glück gehabt. Sie sollen sich einen Drink kaufen und hinterher weiter erzählen: Diese Band musst du gesehen haben. Manchmal entstehen bei genau solchen Shows besonders magische Momente. 

Ich weiß, viele Journalisten löchern dich ausschließlich zu Kyuss und Queens Of The Stone Age. Schließlich hast du beide Bands als Produzent entscheidend geprägt. Ich will es kurz machen: Bist du stolz auf Josh und die Queens, wenn du siehst, dass er heute weltweit als Headliner auf Festivals auftritt?  
Klar bin ich stolz. Ich arbeite mit ihm zusammen seit er 16 Jahre ist. Jetzt ist er 40. Da kann man doch stolz sein, allein, weil er 24 Jahre später immer noch Musik macht. Ich finde: Die neue Queens Of The Stone Age ist ein Meisterwerk. Josh ist seinen eigenen Weg gegangen. Darauf bin ich am meisten stolz. 

Auch Dave Grohl nennt dich als Einfluss. Wie war es, bei seinem Sound-City-Projekt mitzumachen?
Das war auf jeden Fall großartig, eine sehr schöne Erfahrung. Ich glaube, es war hilfreich, um nochmal neue Leute auf die Masters Of Reality aufmerksam zu machen. Für die Band markiert meine Zusammenarbeit mit Dave und all den anderen großartigen Musikern, die auf der Sound-City-Tour dabei waren, eine Art Neustart.  Wir sind wieder motiviert, zu zeigen, dass es uns gibt. 

Seit der letzten Tour hängst du dir opulente Amulette um den Hals. Das aktuelle sieht aus wie ein Playboy-Hase. Was hat es damit auf sich?
Ich liebe Rabbits. Deswegen sammle ich Rabbit-Amulette. Dieses hier gehörte Martin Schneeberger, unserem Keyboarder. Ich glaube, es ist ihm gar nicht wirklich aufgefallen, als ich es mir genommen habe. Das Teil hing schon seit Jahren in seinem Studio in L.A. Hat wohl irgendwer vergessen. Was heißt Rabbit eigentlich auf deutsch?

Hase.
Ich weiß. Ich weiß auch, dass ihr letztes Jahrhundert bei euch eine Hasen-Plage hattet, bei der sie das ganze Saatgut aufgefressen haben. Du kennst den Philosophen Rudolf Steiner? Er war es, der eine Formel für ein Spray oder irgendeine Chemikalie entwickelt hat, die die Hasen schließlich tötete. Du musst das mal in den Geschichtsbüchern nachblättern! Steiner hat Deutschland davor bewahrt, von Hasen überrannt zu werden. Der allererste Song der Masters Of Reality hieß “Theme For The Scientist Of The Invisible“ - damit war Rudolf Steiner gemeint. Er war es auch, der Goethes „Faust“ zum allerersten Mal von Deutsch auf Franzsösisch übersetzt hat. Da war er gerade einmal 16 Jahre.

Von Hasen über Steiner und nochmal zurück zu Black Sabbath: Wie gefällt dir eigentlich ihr neues Comeback-Album?
Ich habe mich noch nicht wirklich mit der Scheibe beschäftigt. Aber lass es mich so sagen: Es ist schön, dass es sie noch gibt.