Artikel © Metal-Hammer Oktober 2009

von Frank Thiessies

 

Nach mehrfacher Verschiebung wartet CHRIS GOSS endlich mit einem neuen Album seiner Stammformation MASTERS OF REALITY auf. PINE/CROSS DOVER nennt sich das achte Studioalbum seiner halluzinogenen Rock-Kapelle und zeigt einmal mehr, dass der Kyuss- und QOTSA- Klagmentor und Wüstenrock-Pionier nicht nur wüste Rocker, sondern sämtliche psychedelischen Zwischentöne meistert.

 

DIE REALITÄT NACH GURU GOSS

 

Es ist nicht nur die rock-historische, sondern auch seine physische Präsens, mit der Goss den Raum komplett vereinnahmt: Leger mit Kaftan-Hemd, Sonnenbrille aus Elton Johns Achtziger-Kollektion und schickem gelbem Pfadfinder-Bandana-Halstuch bekleidet, sichert sich Chris, der heute auf sein Frühstück verzichten musste, gleich zu Gesprächsbeginn den angerichteten Süßigkeiten-Teller. Dabei philosophiert er aufgeregt über seine deutschen Vorfahren. “Jedes Mal, wenn ich durch den Schwarzwald fahre, habe ich so ein komisches Kribbeln und höre Stimmen im Kopf“. erzählt er. „Als würden meine Ahnen zu mir sprechen - ziemlich seltsam.“

In der Tat, aber das passt zur Prämisse Bauchgefühl, die bei Herrn Goss alles bestimmt. „Wir alle haben eine Art Antenne für solche übersinnlichen Dinge, aber die westlichen Religionen wollen einfach nicht, dass wir wissen, welche Möglichkeiten und Kräfte tatsächlich in uns schlummern“, meint Chris. „Ich finde, man sollte seinen Schutzwall herunterlassen und keine Angst davor haben, alle Schwingungen in sich aufzunehmen. Das ist bei der Musik genauso: Das Wichtigste ist, sich treiben zu lassen und relaxt an die Musik heranzugehen.

Ich habe Jahre gebraucht, um das zu lernen und loslassen zu können“, so Guru Goss, der diese Erfahrungsmaxime auf dem neuen Album erstmals im ausufernden Improvisations-Jam eines Stückes wie ‘Alfalfa‘ umsetzen konnte. „Wir treiben dabei alle in der Atmosphäre, die im Raum herrscht, und jeder in der Band fügt sich dem. Das ganze Stück hat sich wundervoll entwickelt, diese Dynamik ist toll. Man kann fast schon autistisch dazu mitwippen.

Ich bin froh, dass wir ein langes Instrumental-Stück geschaffen haben, das kein Stück selbstverliebt ist und ohne großes Rumgenudel auskommt“, erklärt Chris und lässt einen Mini-Schokoriegel verschwinden.

Doch der Klangkosmos von PINE/CROSS DOVER hat noch viel mehr zu bieten: Wie der trennende Schrägstrich bereits andeutet, lässt sich die Platte stilistisch in zwei Hälften teilen. „Ein Teil der Scheibe ist ziemlich abgedreht: Frühachtziger-Public Image Ltd. trifft David Bowie wie bei ‘Worm In The Silk‘ oder auch ‘Johnny´s Dream‘“, erläutert Chris den experimentellen PINE-Part. Der nicht minder eklektische CROSS DOVER-Teil bezieht sich hingegen wortspielhaft auf Goss‘ frühere Vorliebe für britische Musik. „‘Dover‘ ist eine Referenz an England und man kann gleichsam auch ‘crossed over‘ darin lesen.

Als Kind habe ich eigentlich nur englischen Rock‘n‘Roll gehört. Auch wenn ich als Amerikaner eigentlich sagen müsste, dass unser Land die Wiege des Blues und Rocks ist, so gefällt es mir sehr gut, was die Engländer damit gemacht haben“, holt Goss aus. „Sie haben diese Wurzeln sehr selektiv seziert und sich nur die Teile im Songwriting herausgepickt. die sie mögen. Ich bin da ähnlich und nehme mir auch nur das, was mir gefällt. Ich kann mir keine ganze Stevie RayVaughan-Scheibe anhören, das ist mir viel zu viel Hendrix-Hommage. Dafür liebe ich Led Zeppelin, die haben den Blues immer mit akustischen und anderen abgedrehten Zutaten gemixt.“

Und auch wenn der Sänger nach Eigenbekunden eigentlich besser akustische als elektrische Gitarre spielt, kommt dieses Album erstmalig ohne jene aus - Chris wollte “den Batik-Faktor“ bewusst vermeiden. Für die anstehende Tour schwebt dem feinfühligen Schwergewicht allerdings etwas anderes vor. „Bei den Live-Gigs möchte ich gerne ein Akustik-Set in die Shows einbauen“. erzählt er. „Ich würde gerne eine Setlist zusammenstellen, die unsere gesamte Karriere umspannt. Schließlich hat das erste Masters of Reality Album letztes Jahr sein 20-jähriges Jubiläum gefeiert. Ich stelle mir eine lange Show mit drei verschiedenen Song-Zyklen unter dem Motto ‘Ein Abend mit Masters of Reality‘ vor. Das ist aber

alles noch eine Frage des Live-Line-ups. Wir werden sehen Werden wir definitiv. Und staunen sowieso.