The Passion of Chris Goss
Der Meister der (lr)Realität meldet sich zurück, Gäste von den Queens Of The Stone Age, Earthlings?, The Flys, A Perfect Circle sowie Kultfigur Ginger Baker sind mit CHRIS GOSS erneut in den Cannabis-Nebel abgetaucht Zurück kommt er mit einem eklektischen Epos namens “Give Us Barabbas".
VISIONS: Chris, lange Zeit war nicht klar, ob die neuen Songs als Masters Of Reality-Album oder unter deinem Namen veröffentlicht werden würden.
CHRIS GOSS: Es war zeitweise nicht einmal klar, ob sie überhaupt veröffentlicht werden, (lacht) Am Ende bin ich einen Mittelweg gegangen. Das Album ist ein Masters Of Reality/Chris Goss-Album geworden.
VISIONS: “Give Us Barabbas" wirkt wie eine Landkarte amerikanischer Musikgeschichte. Von Blues über Bluegrass, Folk und Rock'n'Roll sind fast alle traditionellen amerikanischen Musikspielarten zu hören. So vielseitig kannte man die Masters Of Reality bisher nicht.
CHRIS GOSS: Einige dieser Songs sind bis zu 20 Jahre alt. Zudem hat sich fast jeder auf diesem Album verewigt, mit dem ich in dieser Zeit musikalisch zu tun hatte.
VISIONS: Der Albumtitel ist erklärungsbedürftig. Eigentlich ist dafür sogar eine Bibelstunde fällig.
CHRIS GOSS: Warum nicht. Ich habe es ja provoziert, (lacht)
VISIONS: Wer oder was ist Barabbas? “Der Jude von Malta" aus Christopher Marlowes Roman oder sein biblisches Vorbild?
CHRIS GOSS: Letzteres. Barabbas ist der Mörder, den das Volk bejubelt, als Jesus am Kreuz hängt. Man versorgt ihn mit Wein, Weib und Gesang und verehrt ihn wie einen Messias.
VISIONS: Wer oder was ist Barabbas heute?
CHRIS GOSS: Wir alle. Die Masse. Das System. All die, die jubeln, wenn es gilt, jemanden zu hängen - auch wenn es nur symbolisch in den Medien geschieht. Und am Ende auch ein Teil von mir selbst. Die Welt ist voller Barabbasse. George Bush ist ein großer Barabbas.
VISIONS: Was würdest Du mit Barabbas tun, wenn er dir in die Hände fallen würde?
CHRIS GOSS: Ihn lieben.
VISIONS: Wie hast du diese Art der Liebe gelernt?
CHRIS GOSS: Es gab Idole, denen ich als junger Mensch vertraute. Eigentlich kaputte, selbstzerstörerische Wracks, mit denen ich mich gut identifizieren konnte. Keith Richards etwa. Aber selbst Keith Richards, der nihilistische Junkie, sagte einmal, dass Hoffnung für die Welt besteht, wenn man verliebt ist. Ich war noch ein Kind, als Richards das sagte. Und es hat mir Hoffnung gemacht. Alte Hippie-Knacker wie Ginger Baker oder ich haben noch diesen Glauben an die Liebe. Solange man liebt, besteht Hoffnung. Wenn genug Leute verliebt sind, besteht Hoffnung für die Welt.
VISIONS: Ist das der essenzielle Grund für dich, Musiker zu sein?
CHRIS GOSS: Ich denke, ja. Das wäre ein Ansatz, den auch Chris jung vertreten hätte. Das Liebe durch Musik kumulieren kann, das ein Song die Welt verändern kann, wenn das kollektive Bewusstsein ihn aufsaugt. Liebe kann nicht verschwinden, sie stärkt die universelle Seele. Das Gleiche gilt auch für das Böse, (lacht)
VISIONS: Melissa Auf der Maur sagte kürzlich über dich: “Chris ist nicht Teil des Systems." Genügt es, in der Wüste zu leben, um diese Eigenschaft zu entwickeln?
CHRIS GOSS: Nein. Aber es hilft mir, mich in jedem Moment auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren.
»Wenn einige Leute mal ihre Klappe
hielten und stattdessen high wären,
täte das der Welt gut«
VISIONS: Die da wären?
CHRIS GOSS: Jeder Moment birgt einen Punkt der Entscheidung. Was man wählt, wird Teil des eigenen Systems. Was man ignoriert, bleibt draußen.
VISIONS: Bekommt man davon keine Kopfschmerzen?
CHRIS GOSS: Überhaupt nicht, (lacht) Es ist ein wunderbares Spiel. Und man kann es überall spielen. Da ist zum Beispiel dieser Getränkeautomat in der Nähe unseres Studios, aus dem wir uns immer mit Soda versorgen. Es gibt da zwei Sorten Coke: Die eine mit dem schönen traditionellen Schriftzug und eine andere mit Blockbuchstaben. Es wurde zu meinem alltäglichen Gebet, mich für die Ästhetik zu entscheiden und gegen einen Fortschritt, der mir nichts bedeutet. Natürlich ist das ein triviales Beispiel. Aber diese kleinen Dinge sind Ausdruck einer Einstellung, die auch im Großen funktioniert. Es ist meine Art, einen winzigen Teil dieser Welt zu verändern.
VISIONS: Du bist seit 15 Jahren verheiratet. Werden deine Ideale da nicht manchmal auf eine harte Probe gestellt?
CHRIS GOSS: Hölle, ja! (lacht) Sinn für Humor ist überlebenswichtig. Wenn man sich nicht gegenseitig zum Lachen bringen kann, sollte man die Sache vergessen. Wenn deine Frau zickt, solltest du einfach Witze drüber reißen. Strebe nach dem Absurden, statt zurück zu zicken. Schmier sie mit Schlagsahne voll oder tue sonst etwas Unsinniges. Von einem Löwenbändiger kann man in dieser Hinsicht vieles lernen. Man muss sich bei Frauen immer vorsehen, sonst könnte dein Gesicht dabei draufgehen. (lacht)
VISIONS: Du scheinst einen gute Balance zwischen Metaphysik und Marihuana gefunden zu haben. War das Glück oder Arbeit?
CHRIS GOSS: (zögert) Ich denke, es ist eine natürliche Entwicklung. Metaphysische Erfahrungen durchziehen mein ganzes Leben, sie beweisen sich immer wieder selbst ihre Existenz durch Dinge die man sich nicht rational erklären kann und jenseits von Zufällen bewegen. Paradigmen wechseln langsam. Manchmal muss man nachhelfen, manchmal nicht. Ich denke, die Welt ist momentan so stark im Umbruch, dass ein Nachhelfen gerechtfertigt ist. Meiner Meinung nach braucht die ganze Welt derzeit dringend Dope. Wenn einige Leute einen Tag lang ihre Klappe hielten und stattdessen high wären, täte das unserem Planeten gut.
VISIONS: Dem würden einige Leute vehement widersprechen.
CHRIS GOSS: Zu Recht. Dope kann großen Spaß machen, wenn man es als persönliches Ritual versteht und zur Erkundung des eigenen Horizontes nutzen möchte. Aber innerhalb einer Gruppe kann das ganz anders aussehen. Tiefe Einsichten, die dir auf einem abgedrehten Marihuana-Level kommen, finden nicht unbedingt Zustimmung in einem nüchternen Umfeld. Ein falsches Wort in einem Song kann durch seine psychologische Wirkung die ganze Arbeit ruinieren. Was ist, wenn ich genau weiß, dass dieses Wort Schaden anrichtet, aber alle anderen mögen den Song so, wie er ist?
»Ein falsches Wort kann durch seine
psychologische Wirkung einen
ganzen Song ruinieren.«
VISIONS: Das nennt man wohl ein Dilemma.
CHRIS GOSS: Ja. Aber zu mir kommen Leute aus exakt diesem Grund und wollen, dass ich ihre Alben produziere! Jeder Tag im Studio erfordert 50 künstlerische Entscheidungen, die dazu beitragen, ein gutes Rockalbum hinzukriegen. Wahrscheinlich sind es sogar 200 Entscheidungen, die in sehr kurzer Zeit gefällt werden müssen. Irgendwann muss man sich vertrauen. Und viele Musiker haben mir dieses Vertrauen geschenkt.
VISIONS: Du malst gern, wie man im Booklet des neuen Albums sieht. Ein Bild mit dem Titel ,Nick' zeigt einen ziemlich abgedrehten Teufel. Ich meine zu wissen, wer damit gemeint ist.
CHRIS GOSS: (lacht)
VISIONS: War die Quasi-Trennung der Queens Of The Stone Age eine Überraschung für dich?
CHRIS GOSS: Nein. Es hat sich seit langem abgezeichnet. Dunkelheit hat sich schon vor langer Zeit bei ihnen breit gemacht. Es ist irrelevant, wer die Schuld daran trägt. Alle sind verantwortlich.
VISIONS: Das Wichtigste zum Schluss: Sind Katzen gut oder böse?
CHRIS GOSS: Gut! Aber das liegt daran, dass ich sie einfach liebe.
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