DESERT SESSIONS Das längste Mixtape aller Zeiten
Die DESERT SESSIONS haben die zehnte Runde abgeschlossen und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Warum auch, hat Gastgeber Josh Homme mit seinen kongenialen Freunden doch wieder eine neue Bestmarke gesetzt und das lockere Projekt inzwischen als feste Größe etabliert.
VISIONS: Das neue "Desert Sessions"-Album wurde bereits im Februar eingespielt. Warum hat es so lange bis zur Veröffentlichung gedauert?
Josh Homme: Ich suche immer noch nach einem geeigneten Rhythmus, möglichst permanent Platten herauszubringen und mir damit nicht selbst in die Quere zu kommen, weil ich mich um alles kümmern muss. Ich bin hier buchstäblich eigenhändig zum Presswerk gefahren und habe die Platten dort abgeholt. Und solch eine Art der 'Vollzeitbeschäftigung' wollte ich eigentlich immer vermeiden. Zum Glück habe ich ja mit 'Ipecac' nun einen Partner und ein Zuhause für mein Label 'RekordsRekords' gefunden. Die nehmen mir einen Großteil der Arbeit ab.
VISIONS: In Europa kommt die Platte aber gar nicht auf dem normalen Vertriebsweg von 'Ipecac' über 'EFA', sondern über 'PolydorIsland' und somit im Vertrieb von 'Universal'.
Homme: Der Grund dafür ist Polly Jean Harvey, sie ist an die Firma 'Island' gebunden. Es war aber kein Zwang, es ist wohl so gelaufen, dass Polly den Leuten bei 'Island' die Desert Sessions wieder und wieder vorgespielt hat. Die Verantwortlichen der Firma müssen da wohl ziemlich drauf angesprungen sein.
VISIONS: Man hört, dass dieser Deal ein erquickliches Sümmchen in die Kassen deines Labels gespült hat.
Homme: Hmm...
VISIONS: Ach ja, über Geld sprichst du ja nicht gerne.
Homme: Genau, lass uns über was anderes reden. Der Deal mit 'Island' ist auf jeden Fall nur eine einmalige Angelegenheit, ansonsten wird 'RekordsRekords' weiter im überschaubaren Indie-Rahmen bleiben. Ich bin im Moment noch auf der Suche nach einer guten Lösung, damit die Platten leicht zu bekommen sind, aber ich möchte das Ganze auch nicht zu groß werden lassen. Ein Label zu machen ist doch einiges mehr an Stress, als ich mir das gedacht hatte. Ich bin schließlich den größten Teil meiner Zeit auf Tour, da wäre es schön, wenn das Label so gut wie von alleine laufen würde.
VISIONS: Hast du denn keine Leute eingestellt, die sich um das Geschäftliche kümmern?
Homme: Doch, sicher. Aber am Ende kommen die Business-Geschichten dann doch wieder zu mir. Gerade bei Verhandlungen mit einem Majorlabel. Ich möchte dafür Sorge tragen, dass all die Bands und auch ich selbst die Rechte an der Musik weitestgehend behalten. Jede Band soll sich mit ihrem Deal wohl fühlen. Majorlabel sind daran eher weniger interessiert.
VISIONS: Ist das auch der Grund, warum von den Eagles Of Death Metal außer einem Ausschnitt des Songs "I Only Want You" im Internet noch nichts zu hören war? Das EODM-Debüt "Peace, Love, And Death Metal" wird am Ende von Mondo Generators letzten Album schon für September angekündigt.
Homme: Ich komme gerade von Proben mit den Eagles Of Death Metal. Die Platte ist fertig und sie hätte auch im September veröffentlicht werden können, aber dann hätten wir sie parallel zu den Desert Sessions veröffentlicht. Ich muss mir ja nicht selbst Konkurrenz machen. Ich wünschte, die Platte wäre schon draußen und jeder hätte sie schon gehört. Ich kann gar nicht anders, als immer wieder Leute damit zu überfallen. Ich lege irgendwo heimlich unsere Musik in den CD-Player und warte ab, wie die Leute reagieren.
VISIONS: Und wie waren die Reaktionen bisher?
Homme: So ziemlich jeder fing an, durchs Zimmer zu tanzen. Ich werde dieser Tage mal zwei ganze Songs ins Internet stellen. Ich möchte diese Musik endlich draußen haben. Die Leute sollen endlich hören können, wie gut die Sachen sind. Jetzt wird die Platte am Valentinstag erscheinen. Schließlich ist die Musik auch Lover's Rock!
VISIONS: Aber das bedeuten auch, dass es mit einem neuen Queens-Album noch länger dauern wird. Eure Plattenfirma deutete hier und da ja bereits an, dass der "Songs For The Deaf"-Nachfolger Anfang 2004 zur Veröffentlichung bereit stünde.
Homme: Ja, sie erzählen uns immer wieder, wann wir die Platte am besten rausbringen sollen. Versteh mich nicht falsch, ich würde liebend gerne ein neues Queens-Album machen, aber ich denke, dass eine kleine Pause unumgänglich ist. Wir haben eine ziemlich lange Zeit am Stück mit Queens Of The Stone Age gearbeitet, und wenn man ein halbes Jahr überhaupt nicht nach Hause kommt, fühlt man sich bald so wie in "The Shining".
VISIONS: Nick spielt nächsten Monat mit Mondo Generator in Deutschland. Wirst du dir im Dezember dann eine wohlverdiente Auszeit nehmen?
Homme: Nicht ganz, ich werde viel mit den Eagles Of Death Metal spielen. Das ist meine Art von Urlaub und Entspannung. (lacht)
VISIONS: Ist Nick nicht auch ein Mitlied der Eagles?
Homme: Nun, ich würde ihn eher als Ehren-Eagle bezeichnen. Er hat bei zwei oder drei Songs Bass gespielt.
VISIONS: Wie sieht denn die Eagles-Of-Death-Metal-Besetzung aktuell aus?
Homme: Jesse Hughes, Tim van Hamel, der ja der Sänger von Millionaire ist, und Carlo von Sexron am Schlagzeug.
VISIONS: Letzteres ist ja eins deiner zahlreichen Pseudonyme. Was macht Tim genau bei den Eagles?
Homme: Er spielt Gitarre und singt die meisten Backgrounds. Jesse ist der Frontmann. Aber beide Jungs sind wirklich gute Tänzer (lacht).
VISIONS: Chris Goss ist nicht mit von der Partie?
Homme: Nein, aber er könnte es jederzeit sein. Das Konzept der Eagles basiert nur auf der Musik, es ist nicht von Leuten abhängig. Manchmal wird Jesse vielleicht alleine Shows spielen, nur mit einem Drumcomputer und seinem Patenonkel. Die Eagles können in allen erdenklichen Kombinationen existieren.
VISIONS: Habt ihr schon einmal live gespielt?
Homme: Noch nicht, aber wir werden die nächsten dreieinhalb Wochen als Support für Placebo spielen. Ich denke, das ist eine gute Sache, bevor die Platte rauskommen wird. Leute auf Partys mit unserer Musik zu überfallen, ist ja eine schöne Sache, aber ich will jetzt endlich sehen, wie die Leute live dazu abgehen.
VISIONS: Zurück zu den Desert Sessions. Vor drei Jahren hast du erzählt, dass die nächsten Sessions strukturierter ablaufen sollten, und angesichts der letzten Resultate konnte dieser Anspruch umgesetzt werden. Was hat sich denn im Vergleich zu den ersten Aufnahmen verändert?
Homme: Ein ganz wichtiger Unterschied ist folgender: Jetzt sind nie mehr als vier oder fünf Leute zur gleichen Zeit im Studio. Den ersten Tag verbringt man ja immer damit, sich kennen zu lernen und das Eis zu brechen. Wenn das erst mal passiert ist, entsteht schnell eine enge Bindung.VISIONS: Kennen sich die Beteiligten nicht schon alle?
Homme: Nun, ich kenne alle Leute, die ich zu den Desert Sessions einlade, aber nicht jeder kennt auch alle anderen. Ich muss da am Anfang schon ein bisschen den Herbergsvater spielen. (lacht) Jedenfalls ist am Anfang immer erst ein bisschen Abtasten angesagt, was das Musikalische angeht, und danach geht das eigentlich immer ganz von alleine. So viele gute Songs in solch einem kurzen Zeitraum haben wir bisher noch nie zustande gebracht.
VISIONS: Waren alle Leute die ganze Woche im Rancho-de-la-Luna-Studio?
Homme: Nein, ein paar kamen erst, als andere schon wieder das Haus verließen, aber es gab einen Tag, an dem alle zusammen da waren. An diesem Tag gab es einen grandiosen kreativen Flow. Chris Goss saß mit Polly auf der Veranda vorne, Dean Ween und Alain Johannes saßen hinten zusammen, Josh Freese, Troy und ich arbeiteten drinnen an einem Stück. Insgesamt haben wir an diesem Tag neun Songs geschrieben und aufgenommen, an diesem Tag schien ein Wasserfall aus Musik durch die Ranch zu fließen.
VISIONS: Habt ihr euch erst tagsüber zusammengefunden, oder haben die Leute auch auf der Ranch übernachtet?
Homme: Ein paar 'Kernleute' waren die ganze Zeit über dort, Polly und Alain. Twiggy blieb vier Tage. Aber die ganze Session dauerte ja auch nur fünf Tage.
VISIONS: Deine neue große Leidenschaft scheint das Schlagzeug zu sein. Nicht nur, dass du bei den Eagles Of Death Metal an den Trommeln sitzt, auch bei den Desert Sessions hattest du oft die Sticks in der Hand. Obwohl ja mit Josh Freese und Joey Castillo zwei exzellente Schlagzeuger zur Verfügung standen.
Homme: Ich gebe es zu, insgeheim wollte ich immer ein Drummer sein. Das Ausleben dieses Traums kommt den Bedürfnissen einiger Songs sehr entgegen, weil diese einen knochentrockenen Stil brauchen. Ungefähr so wie die Drums bei den Cramps. Es ist ein seltsames Gefühl, die ganze Zeit zu sitzen und die anderen quasi aus der Hasenperspektive zu beobachten. Ich habe mich ja immer schon mal ans Schlagzeug gesetzt, aber noch nie so oft und intensiv wie in letzter Zeit. Ich muss die ganze Zeit denken, dass ich bloß nicht versagen darf, schließlich habe ich all die Jahre meinen Schlagzeugern die Hölle heiß gemacht.
VISIONS: Gibst du im Studio automatisch den Ton an, weil du als einziger alle kennst, oder entwickelt sich das von ganz alleine?
Homme: Wenn die Leute ankommen, haben sie immer noch diesen seltsamen Ausdruck im Gesicht, der sagt: "Du hast mich angerufen, hier bin ich – sag an, was geht!" Aber im Laufe des Spielens legt sich das. Meist werfe ich den ersten Stein und starte einen Song, aber nach einer halben Minute übernimmt jemand anderes und irgendwann bin ich es, der hinter dem Song zurückbleibt. Dann sammle ich den Müll ein und lasse die anderen mal machen.
VISIONS: Also brachte jeder schon einen Koffer voller Songideen mit?
Homme: Ich hatte gerade mal zwei ausgesprochen unfertige Riffs, bevor wir anfingen. Und die wurden dann von den anderen vollendet. Jeder hatte ein paar Riffs oder Melodien dabei, aber das meiste ist erst dort entstanden. Zwei Drittel kamen einfach so. Man sitzt herum und hört, wie jemand ein paar Eier in die Pfanne haut. Dieses Geräusch, wie die Eierschalen fünfmal hintereinander an der Pfanne aufbrechen, dieses 'crack – crack – crack – crack – boom!' kann der Anfang für einen großartigen Song sein. 'Crack – crack – crack – crack – boom-de-boomboom!' Der gesamte Fokus liegt dort draußen auf der Musik, aus dem ganz einfachen Grund, dass es dort nichts anderes zu tun gibt. Selbst am Morgen, wenn man einen Kaffee kocht, hat das etwas musikalisches, weil man sonst keine anderen Geräusche hört. Der Blick für das Gesamte ist dort einfach unvergleichlich.
VISIONS: Wie kam PJ Harvey allein unter Männern klar?
Homme: Mir hat es besonderen Spaß gemacht, Polly bei der Arbeit zu beobachten. Man hat bemerkt, dass diese Erfahrung ihre Persönlichkeit ein bisschen verändert hat. Sie ist ein wundervolles Mädchen und hat schon Erfahrung mit vielen Bands. Aber sie sagte uns am Anfang, dass es ein bisschen schwierig für sie werden würde, weil sie nicht gerne in Gegenwart von anderen Leuten etwas einsingt. Es ist ja auch absolut nervenraubend, vor anderen Musikern verschiedene Vokalstile auszuprobieren. Ich sagte ihr, sie solle sich keine Sorgen machen, weil wir hier wären, um nur das zu tun, was wir auch tun wollten. Am nächsten Tag finde ich sie auf dem Boden sitzend, von einem Meer von beschriebenen Zetteln umgeben, wie sie laut in ein Mikrofon singt, das in einem anderen Raum aufgenommen wurde. Um sie herum saßen jede Menge Leute, die in Illustrierten geblättert haben. Brian O'Connor hat es zum Beispiel nicht im Geringsten interessiert, was da gerade passiert ist. Es hat nicht sehr lange gedauert, bis sie diese Unsicherheit abgelegt hatte und sich nicht mehr nackt fühlte. Es war wunderbar, sie bei dieser Entwicklung zu beobachten.
VISIONS: Wer ist Brian O'Connor?
Homme: Er ist ein Zimmermann. Seine Familie hatte früher eine Band, die sich The Country Bugs nannte, also spielte er im Alter von sechs bis vierzehn Bass in einer Country-&-Western-Band, die durch das Land tingelte. Er wurde wohl ziemlich herumgeschubst in seiner Jugend, also ist er als 14-Jähriger nach Florida abgehauen und wollte für zehn Jahre erst mal gar nicht mit Musik zu tun haben. Und wurde dann eben Holzarbeiter. Ich kenn ihn jetzt seit ungefähr fünf Jahren, und seit zehn Jahren spielt er wieder, weil es ihm einfach Spaß macht. Für mich ist er einer der knackigsten Bassisten überhaupt. Es gab diesmal noch einen anderen Teilnehmer der Desert Sessions, den niemand kennen wird: 'The Tuff Gentleman', ein Fischer aus Alaska.
VISIONS: Wie suchst du die Leute aus, die du zu den Sessions einlädst?
Homme: Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Das Schwierigste sind natürlich die unterschiedlichen Zeitpläne und Verpflichtungen, aber irgendwie funktioniert es auf wundersame Weise doch immer. Ich wollte es nicht an die große Glocke hängen, dass Polly dabei sein würde. Wenn das jeder mitbekommen hätte, wäre ich nicht mehr vom Telefon losgekommen: "Josh, ich habe gehört, PJ Harvey kommt. Darf ich auch kommen und euch den Abwasch machen?" Ich brauche dort keine großen Namen, wir sind schließlich nicht die Traveling Wilburys.
VISIONS: Gibt es Absichten, den Kreis der "Desert Sessions" irgendwann einmal zu schließen und die Serie mit einem furiosen Ende ausklingen zu lassen?
Homme: Ich habe mal erzählt, dass ich gerne zwölf Teile herausbringen würde, um mir das Dutzend dann als schickes Box-Set ins Regal stellen zu können. Vielleicht noch mit einer dreizehnten Bonus-Platte, auf der dann die unveröffentlichten Schnipsel zu hören sein werden. Die Idee gefällt mir immer noch, es kann gut sein, dass es so kommen wird. Die ersten Teile sind ja leider so gut wie gar nicht dokumentiert, weder mit Fotos noch mit einer schriftlichen Legende. Das würde ich gerne noch nachholen. Aber in meinem Kopf hat sich auch bereits die Idee festgesetzt, das längste Mixtape aller Zeiten zu machen. Und das ist es ja auch, ein Mixtape von vielen verschiedenen Leuten. Auf einem Mixtape möchte man immer möglichst unterschiedliche Stile präsentieren, und wenn ich ein Mixtape mache, kommt auch immer mal wieder eine krasse Überraschung drauf, die den Hörer wachrüttelt. So was wie "Shepherd's Pie" oder "I'm Here For Your Daughter". Das reinigt und macht Platz für neue Sachen. Insofern wüsste ich nicht, was dagegen spräche, von den Desert Sessions noch Nummer 119 und 120 aufzunehmen. Das Gute ist die absolute Freiheit: Wenn Vol. 15 vielleicht nicht so toll wird, soll keiner sagen, dass die Desert Sessions langweilig geworden sind, sondern auf Vol. 16 gespannt sein. Und ganz unabhängig von den Leuten, die sich das anhören, machen wir das ja in erster Linie für uns selbst. Der Grund, warum wir dort zusammenkommen, ist sich wieder daran zu erinnern, warum wir einmal angefangen haben, Musik zu machen. Niemand brauchte diese Rückbesinnung dringender als ich. Wir waren mehr als ein Jahr auf Tour, mit einem immer dichter werdenden Terminplan. Ich kam mir vor wie bei der Inquisition, und ich hatte es mir auch noch selbst ausgesucht. Und jetzt tat es mir gut, mich dort in der Wüste wieder darauf zu konzentrieren, warum ich eigentlich Musiker bin.
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