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"Visions im Gespräch mit Chris Goss”
VISIONS: Chris, wir haben uns entschieden, dir als Person ein paar Seiten zu widmen. Hast du eine Ahnung, warum wir so etwas tun sollten?
Chris Goss: Hmm. Weil ich ein musikalisches Genie bin (lacht)? Ich weiß nicht, das sollten besser andere entscheiden. Vielleicht wegen des Erfolgs von Queens Of The Stone Age?
VISIONS: Unter anderem, ja. Aber vor allem, weil sich in dir gleich drei interessante Charaktere vereinigen. Chris Goss der Musiker, der Produzent und der Rockfan mit großen, ewigen Idealen. Wie hat der Rock’n’Roll dich gefunden?
Goss: Da war ich noch sehr jung. Etwas sechs Jahre. Der Rock’n’Roll fand mich durch die Beatles. Sie haben mich gefangen genommen. Das war 1965. Es ist kaum zu erklären, wie das einem Kind in dem Alter schon passieren kann.
VISIONS: Finde ich gar nicht so abwegig. Mir ging das mit Abba auch so. Obwohl die nicht gerade Rock’n’Roll waren.
Goss: Das waren die Beatles zu der Zeit auch nicht. Aber sie waren sehr, sehr aufregend. Ich sah und hörte sie überall und war wie verzaubert von ihnen. Wenig später ging mir das auch mit anderer Musik so. Den Supremes, der ganzen Motown-Musik, den Stones. Aber vor allem mit den Beatles. Ich saß im Schulbus und sang ihre Songs. Die anderen Kids fingen an, mich deshalb zu verprügeln und klemmten meinen Kopf unter ihren Knien ein. Aber ich sang trotzdem weiter.
VISIONS: Hast du da verstanden, dass Liebe stärker ist als Gewalt?
Goss: Absolut (lacht)!
VISIONS: Wann hast du dich auf die Suche nach härteren Sounds begeben?
Goss: Das musste ich gar nicht. Die Bands, die ich liebte, wurden von selbst härter. Sowohl die Beatles als auch die Stones machten diese Wandlung vom Pop-Act zum Rocker durch. Ich erinnere mich, dass ich "The Last Time" von den Stones für die härteste Nummer aller Zeiten hielt. Auch Songs wie "Paperback Writer" läuteten eine Zeit ein, in der die Beatles immer seltener happy und immer öfter düster klangen. Das inspirierte natürlich auch andere Bands, härtere Musik zu machen. Jimi Hendrix, The Cream, Iron Butterfly, die ganze Psychedelic-Szene in San Francisco. Die Musik, die aus dem Radio quoll, war plötzlich von Drogen beeinflusst und damit brandgefährlich für die Gesellschaft. Ich war etwa acht Jahre alt, aber nahm all das genau wahr. Die Peripherie aus Drogen, Sex und Todessehnsucht war unglaublich faszinierend und anziehend für mich. Ich konnte es kaum erwarten, mit den Hippies abzuhängen (lacht). Mein größter Traum als Zehnjähriger war es, aus meinem Elternhaus abzuhauen und endlich Drogen zu nehmen. Das war 1969.
VISIONS: Wie lange hat es gedauert, bis dieser Traum wahr geworden ist?
Goss: Nicht lange. Das war in der High School, so etwa mit 14.
VISIONS: Hat es aus deiner Sicht jemals einen fundamentalen Unterschied zwischen den Beatles und den Stones gegeben? Für viele waren die Beatles immer die 'sauberen' Jungs, während die Stones obszön und dirty daherkamen.
Goss: Für mich waren sie aus dem gleichen Holz geschnitzt. Ich bemerkte jedoch einen großen Unterschied, was den Einfluss der Bands auf die Medien anging; John Lennon hatte es weit besser drauf, durch seine Poesie die Massenmedien zu bewegen als Mick Jagger. Er kam mit seinem intellektuellen Romantizismus bei den verstandsbetonten und feingeistigen Leuten der jungen Generation besser an als der 'Bad Boy' Jagger. Für McCartney galt dasselbe - er war das Ideal des sanften Frauenschwarms, der zusammen mit seiner Frau gemütlich Pot raucht und mit ihr glücklich auf einer Farm lebt. Die Stones waren da eher... unangenehm.
VISIONS: Denkst du, dass der Revolutionsgedanke der 60er Jahre, den du als junger Mensch erlebt hast, bis heute auf seine Weise einzigartig geblieben ist? Oder liegt es in der Hand jeder einzelnen Generation, eine Epoche künstlerisch und gesellschaftlich derart zu prägen?
Goss: Ich befürchte, die Revolutionen, die sich heute ereignen, liegen außerhalb unserer Kontrolle. Die naive, unschuldige Revolution der Sechziger, die experimentelle Revolution lag hingegen in den Händen der damaligen Generation. Man hatte Ziele vor Augen. Das Leben hatte einen Zweck. Visionen wie die des Weltfriedens schienen erreichbar, auch wenn es heute so unerreichbar erscheint. Die Kraft hinter der Musik wurde für stark genug gehalten, um das Töten in der Menschheit zu beenden. Ich weiß nicht, ob dieser Optimismus heute noch existiert. Vielleicht nur bei sehr gläubigen Menschen, die durch das Gebet ihren Optimismus nähren. Ich denke, dass uns eine wundervolle ästhetische Hülle erhalten geblieben ist, was den künstlerischen Aspekt dieser Zeit angeht. Aber das Endresultat, vor dem wir heute stehen, ist nichts weiter als ein Alptraum.
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VISIONS: Waren es letztlich nicht die Menschen, die diese Realität damals geschaffen haben?
Goss: Ja.
VISIONS: Ist Musik aus dieser Zeit heute gerade deshalb so beliebt, weil sie die Erinnerung an das wach hält, wozu Menschen in der Lage sind?
Goss: Ja.
VISIONS: Wie bewertest du die Chance, heute durch Musik positiv geprägt zu werden – auch wenn ein Großteil der damaligen Ideale verloren gegangen ist?
Goss: Es funktioniert noch immer – psychologisch betrachtet. Aber es fehlt der Aspekt der Hoffnung. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Nimm Nirvana als Beispiel. Wir finden einen so großartigen Poeten wie Kurt Cobain unter uns. Jemand, dem eine ganze Generation zuhört. Und was passiert? Dieser junge Mann bläst sich das Gehirn aus dem Kopf. Es ist so bezeichnend für die Hoffnungslosigkeit, die heute existiert. Schon der Mord an John Lennon war ein Schock. Aber nun richtete jemand diese Gewalt gegen sich selbst. Es stimmt mich tieftraurig. Ich beneide die heutige Generation nicht um das, was sie zu schlucken hat. Aber es zeigt mir auch, dass ich selbst Teil dieser Generation bin und mit ihr zusehe, wie die Welt auseinander fällt. Aber vielleicht muss sie das, um neu aufgebaut zu werden. Ich weiß es nicht.
VISIONS: Tori Amos hat ein Album darüber geschrieben, dass der Verlust des 'alten Amerika' am 11. September 2001 auch die Chance in sich berge, verlorene spirituelle Werte wiederzuentdecken. Kannst du damit etwas anfangen?
Goss: Wenn Tori damit Recht hat, besiegt sie den Tod mit dieser Einsicht. Aber keiner kann mit Bestimmtheit sagen, was dem Tod folgt. Wir alle warten auf das Zeitalter der Erleuchtung, obwohl wir in einem Zeitalter tiefster Dunkelheit leben. Es ist schwer, hoffnungsvoll zu sein, wenn man sich überall von Blutrünstigkeit und Rachelust umgeben sieht. Sehr schwer. Ich würde mich dennoch als einen hoffnungsvollen Menschen bezeichnen. Aber ich sehe nicht, wie diese Hoffnung einmal wahr werden könnte. Bis es soweit ist, haben wir immerhin Musik. Vielleicht ist das ein Anfang.
VISIONS: Womit hast du die letzten zwölf Monate verbracht?
Goss: Hauptsächlich mit Nick und Josh von Queens Of The Stone Age. Wir machten diese kleine Tour in Europa, aus der das Livealbum "Flak’n’Flight" hervorgegangen ist. Im Anschluss daran habe ich mit Melissa Auf Der Maur (Ex-Bassistin von Hole und Smashing Pumpkins – Anm. d.Verf.) an ihren Demos gearbeitet, was mir eine große Freude war. Danach ging es mit Mark Lanegans Soloalbum weiter. Bei all diesen Aktivitäten waren immer irgendwelche Musiker von Queens Of The Stone Age beteiligt. Du merkst, wir kommen etwa alle fünf Minuten auf sie zu sprechen – musikalischer Inzest, wohin man sieht (lacht). Aber es ist nun mal so, dass jede halbwegs intelligente Rockband in Amerika derzeit etwas mit der Desert-Rockszene zu tun hat.
VISIONS: Was ist derweil aus deinen Plänen geworden, ein Folk&Country-Album zu machen?
Goss: Auch daran habe ich in den letzten Monaten gearbeitet. Die Songs sind ruhig bis abgedreht, eine Menge Kontrabass ist dabei. In den letzten zehn Jahren hat sich einiges an Material angesammelt, das nie so recht auf ein Masters-Album passen wollte. Deshalb plane ich, diese Songs im nächsten Frühling zu veröffentlichen. Ich kann mich nur nicht entscheiden, ob es ein Masters Of Reality-Album oder ein Chris Goss-Album werden soll. Wir werden es sehen, wenn die Zeit gekommen ist.
VISIONS: Dein Umgang mit dem Faktor Zeit ist berühmt bis berüchtigt. Ziehst du es vor, Dinge in einem bestimmten Zeitrahmen abzuwickeln oder entscheidet der kreative Flow über den besten Zeitpunkt?
Goss: Die Antwort auf beide Fragen lautet: Ja! Einige Songs, einige Projekte brauchen Jahre bis zur Vollendung. Das liegt daran, dass irgendetwas ihnen diese Zeit gewährt. Andere Projekte sind innerhalb weniger Wochen oder Tage erledigt, was ebenfalls daran liegt, dass irgendetwas sie dazu veranlasst. Dieses 'Irgendetwas' ist entweder Geld, der 'state of mind' während der Arbeit oder die Zufriedenheit mit dem Verlauf des Projekts. Meistens ist es jedoch die Fähigkeit des Künstlers, die Dinge geschehen zu lassen und sich nicht festzubeißen. Jene Tage ziehe ich natürlich vor. Manchmal zieht sich ein Song so lange hin, dass er niemals fertig zu werden scheint. Aber grundsätzlich arbeite ich gerne schnell, auch wenn es manchmal gar nicht danach aussieht (lacht).
VISIONS: Vor allem, wenn man an die schleppenden MOR-Releases der letzten Jahre und die vielen Unterbrechungen in der Karriere der Band denkt. Oder hatten diese Pausen auch eine magische Funktion?
Goss: Pause ist das falsche Wort. Was oft als Stillstand von Chris Goss und den Masters wahrgenommen wurde, war in Wahrheit Zeit, die ich mit dem Produzieren anderer Künstler verbracht habe. Ich weiß nicht, ob ich das gegen ein paar weitere MOR-Songs eingetauscht hätte. Wohl eher nicht. So hatten die Releases eben immer mit Hindernissen zu kämpfen.
VISIONS: Was brachte dich 1990 dazu, als Produzent für Kyuss tätig zu werden?
Goss: (nachdenklich) Die reine Liebe. Wirklich. Kyuss war die beste Band, die ich seit Jahren gehört hatte. Mehr als das: Sie waren ein Traum, der für mich wahr wurde. Swinging, loving, heavy and wonderful – das waren Kyuss für mich. Ich bestand darauf, sie zu produzieren.
VISIONS: Blieb die Liebe zur Musik deine Hauptmotivation? Oder hast du Blut geleckt, was die Tätigkeit des Produzierens an sich angeht?
Goss: Es war eine Mischung aus beidem. Und die Kohle hat auch gestimmt. Da mache ich kein Hehl draus. Ich hätte aber für kein Geld der Welt etwas produziert, das mir nicht gefällt. Im Studio zu sein und den Nervenkitzel des Songwritings zu erleben, ist meine Leidenschaft. Die Arbeit mit Kyuss hat mich vielleicht dort hingeführt – aber irgendwann wollte ich bleiben.
VISIONS: Sicherlich ist es von Vorteil, wenn ein Produzent selbst Musiker ist. Aber gilt das auch umgekehrt? Inwieweit beeinflusst deine Arbeit als Produzent dich als Musiker?
Goss: Hmm, interessante Frage. Ich denke, man übt sich darin, dem Song die richtige Richtung zu geben und irgendwann dauerhafte Entscheidungen zu treffen. Davon profitiere ich als Songwriter auch. Es geht weniger um Arrangements als um die Kunst, den Geist frei von Bullshit zu halten. Sich vor Vorurteilen und Sturheit zu hüten und immer offen zu bleiben. Mein Job als Produzent besteht im Gegensatz zu den meisten anderen darin, das Selbstvertrauen der Band zu fördern, anstatt ihr zu sagen, was sie zu tun hat. Im besten Fall lernen sie und ich die gleiche Lektion zur selben Zeit und wir haben noch Spaß dabei.
VISIONS: Was hast du von Soulwax gelernt? Goss: Wundervolle Dinge. Vor allem: Habe keine Angst, anders zu sein. Ich war wohl immer der konservativere Part von uns. Das habe ich bei der Zusammenarbeit mit ihnen gemerkt. Etwa zur Halbzeit der Aufnahmen zu "Leave The Story Untold" steckten wir fest. Plötzlich entfalteten sie von einem Tag auf den anderen den Zauber, der dieses Album ausmacht. Dazu gehörte Mut zu unkonventionellen Dingen. Vorher klang alles nach nostalgischem Blues, aber in diesen Tagen machte es plötzlich klick.
VISIONS: Wunderst du dich nicht auch, warum Soulwax nicht längst riesig im Geschäft sind?
Goss: Nein. Denn sie lassen sich zuviel Zeit mit dem nächsten Album. Die Dewaele-Brüder – und auch die anderen in der Band – sind Kreativmaschinen. Nimm nur das 2 Many DJs-Projekt. Sie können gar nicht anders, als immer wieder neue Dinge auszuprobieren. Sicher verdienen sie damit auch nicht schlecht. Ich hasse den Gedanken, aber wenn sie so weitermachen, werden sie die belgischen Masters Of Reality (lacht). Im Ernst, ich verstehe ihre Taktik nicht. Als ich letztes Jahr in Europa unterwegs war, besuchte ich sie in Gent im Studio. Sie spielten mir ein paar Demo-Songs vor, die ich allesamt gut genug für ein Album fand. Ihr Streben nach Perfektion ist ein edler Zug, aber letztlich geht es nur um Rock’n’Roll. Selbst bei Soulwax. Diese Belgier nehmen es einfach zu genau. Sogar die Pommes fritieren sie zweimal, was soll man noch mehr sagen (lacht)?!
VISIONS: Wann immer das nächste Soulwax-Album ins Haus steht – wird der Produzent wieder Chris Goss heißen? Es gab Gerüchte, du und Dave Sardy würden gemeinsame Sache machen.
Goss: Ich wurde noch nicht gefragt, würde aber sofort zusagen. Dave ist inzwischen ein guter Freund von mir. Ich bin mir aber nicht sicher, ob Soulwax mich überhaupt noch brauchen.
VISIONS: Queens Of The Stone Age haben für ihr neues Album auf deine Dienste als Produzent verzichtet. Was denkst du angesichts ihres Erfolgs?
Goss: Ich freue mich für sie.
VISIONS: Und das ist alles?
Goss: Natürlich nicht (lacht)! Ich wünschte, ich hätte dieses Album produziert! Ohne überheblich sein zu wollen, ich glaube ich hätte es noch interessanter klingen lassen können. Aber dieser unglaubliche Erfolg freut mich wirklich. Natürlich hätte ich lieber meinen Namen auf diesem Album gelesen als den von Eric Valentine.
VISIONS: Obwohl Valentine ja recht früh wegen `kreativer Differenzen´ gefeuert wurde und Josh Homme den Job letztlich selbst gemacht hat.
Goss: Das stimmt. Josh hat sich den Arsch abgearbeitet. Gerade deshalb verdienen sie den Erfolg. Aber ich sah auch, was hinter den Kulissen dieses Albums geschah. Der Weg zu "Songs For The Deaf" war schmerzvoll und hart. Ich bin sicher, dass ich den Jungs eine Menge davon hätte ersparen können.
VISIONS: Du klingst wie ein Vater, der stolz auf `seine´ Jungs ist, aber ihnen auch gerne unnötige Leiden ersparen möchte. Gibt es eine Vater/Sohn-Beziehung zwischen Josh und dir?
Goss: Wahrscheinlich. Und ich denke, Josh wollte sich genau davon verabschieden.
VISIONS: Der Sohn, der seinem Vater den Rücken kehrt, weil er es alleine schaffen will?
Goss: Das trifft es wohl. Josh war es leid, immer nur an meiner Seite zu arbeiten. Deshalb fühlte ich mich so geschmeichelt, als sie damals dennoch "Rated R" mit mir machen wollten. Zu Kyuss-Zeiten waren Josh und die anderen definitiv wie meine Kinder. Ich liebe sie, deshalb kann ich ihnen nicht wirklich böse sein. Die beste Art, ihnen heute meine Liebe zu zeigen, ist, sie ziehen zu lassen.
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