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Autor: Marcus Schleutermann

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Kultur geht durch den Magen

Bisher war ein neues MASTERS OF REALITY-Album leider ein sehr seltenes Ereignis. Nur alle drei bis vier Jahre beglückte uns Mastermind ChrisGoss mit neuem Material. Mit dem vierten Album "Deep In The Hole" kommt er erfreulicherweise schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit aus dem Quark. Und das Beste daran ist, dass es im Gegensatz zum enttäuschenden Vorgänger nicht wie ein Schnellschuss klingt, sondern phasenweise sogar an die Klasse des legendären Debüts anknüpfen kann.

Chris Goss sitzt in einem abgedunkelten Hotelzimmer mitten in der Kölner Altstadt. Auf den ersten Blick wirkt der glatzköpfige Zwei-Zentner-Mann   ziemlich   grobschlächtig   und   fast schon brutal, doch der Eindruck täuscht gewaltig. Er scheint im falschen Körper zu wohnen und überrascht mit betont sanfter Stimme und sehr weicher Körpersprache; außerdem glänzt er mit erstaunlichen kulturellen Kenntnissen.

»Ich bin europäischer Abstammung und liebe Länder wie Deutschland, Holland oder Italien«, bekennt er. »Wenn ich unterwegs bin, lerne ich zum Beispiel dadurch viel über Land und Leute, dass ich im Tourwriter (dem Anforderungszettel für Verpflegung, Technik etc. -d.Verf.) (Ähm, das Ding hört, spricht und liest sich Tour-Rider, lieber Kollege... - Red.) immer lokale Gerichte und Getränke verlange. Domino-Pizza und Budweiser kann ich ja schließlich zu Hause haben. Ich will gerne das essen, was für die Gegend typisch ist. Hier in Köln trinke ich also Kölsch (Armer Kerl! Die Plattenfirma hätte ihn besser in Düsseldorf einquartiert... - d.Verf.), und heute Mittag hatte ich Sauerbraten. Köstlich! Einmal hat mir ein Österreicher ein Brot gebracht, das seine Mutter selbst gebacken hatte. Durch dieses persönliche Geschenk habe ich mich wie ein König gefühlt. Das sind die magischen Momente, um die es im Leben geht!« Weniger magisch war der Vorgänger "Welcome To The Western Lodge", der mit seinen nur halbherzig ausformulierten Songs selbst Die-hard-Fans wie Holger Stratmann nicht wirklich überzeugen konnte.

»Ich stimme zu, dass die Songs zu kurz sind«, gesteht Chris ein. »Die Idee war, eine dunkle Version der B-Seite vom Beatles-Album "Abbey Road" zu machen. Ohne die entsprechende A-Seite hat das jedoch nicht so ganz funktioniert. Dennoch stehe ich zu dem Album. Sein klaustrophobisches Feeling entsprach voll und ganz meiner damaligen Stimmung. Inzwischen herrscht eine ungleich positivere Atmosphäre in meinem Leben, aber ich möchte diese verschiedenen Phasen nicht werten, denn ich mag meine düsteren Seiten und meine Melancholie genauso wie meine Party-Vibes. Fest steht jedenfalls, dass sich meine jeweilige persönliche Verfassung auch im Songwriting niederschlägt, so dass sich das letzte und das neue Album stark voneinander unterscheiden. Zudem ist "Deep In The Hole" natürlich auch von den vielen Gastmusikern geprägt, die mir die Ehre erwiesen haben. Den Plan gab es schon lange, aber dummerweise waren die meisten meiner musikalischen Freunde immer gerade auf Tour, wenn ich ein Album aufnahm. Diesmal war das Timing besser, und es hat endlich geklappt«

»Schon als Kind habe ich

bei den Grammy Awards

vor Wut auf den Fernseher

gespuckt/ als Barry

Manilow statt Led Zeppelin

gewonnen hat.«

In der Tat kann der Mastermind auf eine stolze Liste von prominenten Gästen verweisen, für die manch andere Band ihre Edelmetallauszeichnungen hergeben würde. So trugen u.a. der ehemalige Screaming Trees-Sänger Mark Lanegan, Perfect Circle-Gitarrist Troy van Leeuwen sowie die Queens Of The Stone Age-Musiker Josh Homme, Nick Oliven' und Nick Lucero ihren Teil zum Gelingen bei. Chris betont diesbezüglich, dass die Songs im Wesentlichen zwar schon festgestanden hätten, jeder jedoch noch genug Platz gehabt habe, um seine eigenen Ideen einzubringen. Davon hat vor allem Josh Gebrauch gemacht, der 'Roof Of The ShecT co-komponierte, sang, sowie fast alle Bass-Spuren (!) einspielte - und das parallel zu den Arbeiten an der siebten und achten Ausgabe der “Desert Sessions".

Einerseits schmücken die vielen Gäste das Album, andererseits verstärken sie aber auch den ohnehin schon vorherrschenden Eindruck, dass es sich bei MASTERS OF REALITY um ein Soloprojekt handelt.

»Ich habe mit John Leamy jetzt immerhin auf zwei Alben denselben Drummer - das ist doch schon mal ein Anfang«, schmunzelt Chris mit bitterer Ironie. »Aber es stimmt schon: Die Masters sind keine richtige Band. Das ist bei den Alben nicht weiter problematisch, aber live natürlich nicht ganz so einfach. Wie sehr mir ein festes Line-Up fehlt, wurde mir neulich bei einem Unplugged-Showcase in LA. bewusst, bei dem fast alle an den Aufnahmen beteiligten Jungs dabei waren. Es war so schön, dass ich gar nicht mehr aufhören wollte zu spielen.«

Klingt nach einem legendären Konzert, das wir hierzulande wohl in dieser Form nicht erleben werden, weil Chris diese akustische Performance zwar sehr schön fand, aber grundsätzlich viel lieber rocken will. Und um das zu unterstreichen, erzählt er, dass seine rebellische Seite noch genau so dominant wie früher sei.

»Schon als Kind habe ich bei den Grammy Awards vor Wut auf den Fernseher gespuckt, als Barry Manilow statt Led Zeppelin gewonnen hat. Daran hat sich nichts geändert. Als dieses Jahr Mariah Carey statt Björk den Preis bekam, bin ich genauso wütend geworden und habe rumgerotzt. Was für eine Farce!« Indirekt hängt mit diesem Erlebnis auch der Text von 'Third Man On The Moon' zusammen, denn dieser Song ist eine Hymne auf anonyme Helden.

»Wer weiß schon, wer der dritte Mann auf dem Mond war? Eben. Den ersten, Neil Armstrong, kennt dagegen jeder. Man darf eben nicht für jede gute Tat einen AcadamyAward erwarten.«

Diese Erkenntnis dürfte durchaus autobiografisch geprägt sein, denn auch bei den MASTERS OF REALITY herrscht zwischen verdientem und tatsächlichem Erfolg ein krasses Missverhältnis. Hoffentlich nicht mehr lange.