Artikel © Metal Hammer 2001

 von Petra Schurer

 

Magische Momente

Seit zwei Dekaden gibt es die MASTERS OF REALITY nun schon. Dennoch sind sie stets ein Underground-Tipp geblieben. Band-Chefdenker Chris Goss, bekannt durch seine Produzentenarbeit für Kyuss, Ian Astbury oder die Screaming Trees, ist nicht unglücklich. Denn ihm geht es nicht um kommerziellen Erfolg, sondern um kreative Freiheit und den beglücken- den Augenblick der Erschaffung visionärer musikalischer Ideen.

All diejenigen, die sich darüber beschweren, dass Metallica langsame Songwriter wären, sollten lieber die Finger von einer Band wie den Masters Of Reality lassen.
Die haben nämlich in ihrer über 20-jährigen Karriere nur sage und schreibe vier Studioalben veröffentlicht - das neue Machwerk DEEP IN THE HOLE mit eingerechnet.
Lauscht man allerdings den Worten von Mastermind Chris Goss, so verwundert dieses Schneckentempo nicht weiter: "Manchmal dauert es mehrere Jahre, bis ich ein Stück fertig geschrieben habe. Die Idee zu dem Track 'Major Lance' kam mir zum Beispiel im Sommer 1996, als ich in meinem New Yorker Appartement stand und plötzlich anfing, die Melodie vor mich hinzusingen. Ich habe diesen Augenblick nie vergessen. Darum bin ich wirklich froh darüber, dass ich es geschafft habe, das Lied auf Tape zu bannen, es auf diese Weise für immer festzuhalten und dadurch anderen Menschen zugänglich zu machen.
Die besondere Stimmung, in der ich mich zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Stücks befand, spiegelt sich auch jetzt noch in ihm wider - obwohl so viele Jahre zwischen der Komposition und der Aufnahme liegen. Das ist faszinierend", philosophiert der Sänger. Gitarrist und Bassist.
"Ich liebe es. einen dieser
'magischen Momente' zu erleben, die Atmosphäre zu spüren, die bei der Kreation von Neuem entsteht. Es ist mir dabei egal, ob ich selbst aktiv daran beteiligt bin oder nur zusehe und zuhöre." Es macht Goss nichts aus, in den Hintergrund zu treten, so lange erder Erschaffung von etwas Originellem beiwohnen kann. Und vielleicht ist es auch diese Liebe zur völligen kompositorischen Freiheit, die ihn zu einem guten Produzenten macht. Denn das ist die eigentliche Profession des Masters Of Reality-Frontmanns.
So veredelte Chris Goss den Sound von SPIRIT/LIGHT/SPEED, der Soloplatte von The Cult-Sänger lan Astbury, und zeichnet unter anderem für das Klangewand von Kyuss sowie deren Nachfolgebands Sloburn, Queens Of The Stone Age und Unida verantwortlich. Eine Zusammenarbeit also, die sich über Jahre bewährt hat und aus der eine Freundschaft entstand. So ist Goss mit Josh Homme von den Queens gut Kumpel - ein Grund, warum der ehemalige Kyuss Gitarrero es sich nicht nehmen ließ, auf DEEP IN THE HOLE einige Takte einzuzupfen.
Und damit er befindet sich in bester Gesellschaft. Denn auch Troy van Leuuwen (A Perfect Circle). Mark Lanegan (ScreamingTrees) und Chris Goss' ehemaliger Masters Of Reality-Mitstreiter Nick Lucero (The Flys) sind auf dem Album als Gastmusiker zu hören. Eine große Familie also? "Irgendwie schon", nickt Chris Goss. "Ich mag es, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die Ahnung von Musik haben und wissen, wie sie ihre Gefühle akustisch zum Ausdruck bringen können.

Vor kurzem habe ich eine Masters Of Reality-Show in Los Angeles veranstaltet, bei der die meisten meiner Musikerfreunde gemeinsam mit mir aufgetreten sind. Es war eine Art Masters Akustik-Gig.
So etwas habe ich noch nie vorher erlebt, und es war sehr spannend, die Reaktionen der Fans zu beobachten.
Die meisten Anwesenden hatten wohl ein normales Heavy Rock-Konzert erwartet - und dann kamen wir auf die Bühne, setzten uns auf Barhocker und jammten los. Im ersten Augenblick war es wohl eine ziemliche Überraschung für die Leute.
Aber nach einer Weile merkte ich, wie sie von den Stücken mitgerissen wurden. Das war eine grandiose Erfahrung. In diesem Moment habe ich geistig inne gehalten und zu mir selbst gesagt: 'Es ist toll, dass ich die Möglichkeit habe, genau das zu tun, was ich immer wollte." Und trotz (oder gerade wegen) dieser wundervollen Erfahrung ist sich Chris Goss stets bewusst. dass Shows nicht immer optimal ablaufen können. "Ich habe einmal jemanden folgenden Satz sagen hören: 'Musiker sind doch im Grunde Idioten!' Und so krass es auch klingen mag: Derjenige hatte in gewissem Sinne recht.
Denn im Gegensatz zu einem Maler, der einmal all seine Energie bündelt und ein Bild erschafft, wiederholt der Musiker ständig die gleichen Songs. Der magische Moment, von dem schon ich zu Beginn gesprochen habe, geht dadurch verloren.
Es gibt ein gutes Beispiel aus der Rockgeschichte für diese Problem: Jimi Hendrix. Ich bin der Ansicht, dass er nicht zuletzt aufgrund dieses Dilemmas so viele Drogen genommen hat. Meine Theorie lautet, dass er den Rausch, den er zu Beginn seiner Karriere durch die Live-Konzerte erlebte, wieder aufleben lassen wollte und letztendlich daran zugrunde gegangen ist.
Daher lautet mein Credo: Um die Wiederholung - und damit die unvermeidliche Stagnation zu vermeiden, muss man stets offen für Neues sein. Denn nur auf diese Weise erhält man sich den Enthusiasmus und die Liebe zur Musik.