D I E “D U N K L E S E I T E”
Masters Of Reality um Bandkopf Chris Goss gehören gewiß zu den intelligentesten Rock-Akteuren. Der ruhig und introvertiert wirkende Sänger und Gitarrist, der auch durch seine Produzententätigkeit einen guten Namen im Business bekam, zeigt sich im Gespräch anläßlich des neuen Longplayers "Deep In The Hole" als ein Mann, der dem Vorurteil des blöden Rockmuckers aber gar nichts gemein hat.
|
»Es ist schon sehr verrückt«, reflektiert ein nachdenklicher Chris Goss die Ereignisse um die schrecklichen Anschläge in seinem Heimatland am 11. September 2001 in unserer Unterhaltung knapp eine Woche später. »Und um ehrlich zu sein, mir fällt' s schon schwer, da einfach zur Tagesordnung überzugehen, als wäre überhaupt nichts passiert. Aber ich glaube, jeder mit etwas Hirn im Kopf hat voraussehen müssen, daß mal irgendwann eine terroristische Aktivität von großem Ausmaß uns erschüttern wird. Es gab ja genügend Ansätze in den USA und auch Taten außerhalb Amerikas, die ahnen ließen, wozu solche Leute fähig sein können. Jetzt am 11. September sind wohl die größten Alpträume wahr geworden, und jeder ist schockiert, wobei das alles für mich dennoch nicht überraschend kam.«
Der neue Lonplayer "Deep In The Hole" ist für mich wesentlich emotionaler als sein Vorgänger "Welcome To The Western Lodge" und erinnert durchaus in Bereichen an den Masters Of Reality-Einstand von 1988. Nun kann man diesen Tiefgang und den Albumtitel aufgrund der aktuellen Weitgeschehnisse unter einem ganz speziellen Aspekt sehen.
»Ich finde, daß alle meine Platten eine düstere Grundstimmung besitzen. So ist halt mein Songwriting, und deshalb ist 'Deep In The Hole' kein großer Stilwechsel für mich. Ich habe den Rock 'n' Roll schon immer von der dunklen Seite her betrachtet - unabhängig von irgendwelchen Ereignissen. Für mich ist die Traurigkeit in meinen Stücken also Normalität.«
Also befindet sich Chris Goss permanent in dem berühmtberüchtigten Loch?
»Du darfst ´Deep In The Hole' nicht nur auf mich speziell bezogen sehen, sondern muß die Sache allgemein betrachten. leb mag Plattentitel, die eine weitreichende Aussage haben und durch die Interpretationsmöglichkeiten viele Personen ansprechen. So kann ich meine Vorstellungen am besten transportieren.«
Ich kann mir vorstellen, daß es für Chris Goss gar nicht so leicht ist, seine tiefen und vielschichtigen Emotionen auf die Schnelle in ein Stück mit vier oder fünf Minuten Spielzeit zu packen. Auf der anderen Seite läßt sich diese Vorgehensweise in musikalischer Form auch so interpretieren, daß Masters of Reality eine Art der Therapie sind.
»Ich habe überhaupt keine Probleme beim Songwriting«, widerspricht Chris, »ganz im Gegenteil: Ich genieße es und bin glücklich darüber, mich als Musiker so ausleben m können. Ich habe - im Gegensatz zu vielen anderen - die Chance, meine Alpträume musikalisch verarbeiten zu können. Und dies ist dann vielleicht auch eine Hilfe für andere. Nicht unbedingt im speziellen, was ich genau meine, sondern von den Gefühlen her, welche die Tracks erzeugen. Eine Menge Leute wissen bei meinen Sachen häufig überhaupt nicht, über was ich genau singe - aber keine Angst, mir geht´s ehrlich gesagt ähnlich«, muß der Riese mit der sanften Stimme lachen. Und von daher muß ich dir zustimmen, daß man Masters Of Reality wirklich als Therapie für mich sehen kann.«
Aber Chris Goss ist ja nicht nur als Musiker, sondern auch als Produzent aktiv.
»Das macht keinen Unterschied, in welcher Form ich tätig bin. Das Ziel ist, etwas musikalisch Interessantes zu machen - egal, ob meine Band oder eine andere. Die Gefühle, die ich hatte, als in den Siebzigern Scheiben von Led Zeppelin oder David Bowie auflegte. Und wenn das Werk zu Ende ist, was für Emotionen die Musik in dir ausgelöst hat. Du bist für eine bestimmte Zeit ein Passagier, der die Musiker mit ihren Songs begleitet. Und ich will den Respekt von früher erreichen; dabei ist's egal, ob mit Masters of Reality oder als Produzent für jemand anderen.«
»Die Terroristen haben sich wahrscheinlich irgendwelche Video-Awards angesehen, die einen so richtig depressiv machen«, äußert Chris auf eine sehr bittere Art seine Meinung über das derzeitige Musikgeschehen. »Seit dem Tag, als Rock'n'Roll begann, ist's immer ein Kampf gewesen. Rockmusik als Protestform existiert in vielen Bereichen schon längst nicht mehr und ist Teil der Business-Maschine geworden. Heutzutage ist's nicht mehr das gleiche wie vor zwanzig, dreißig Jahren, wenn sielt ein Typ auf die Bühne stellt und seine Gitarre auspackt. Wir brauchten heute Menschen wie John Lennon oder Kurt Cobain - Leute, die denken. Aber auch jetzt existiert gute Rockmusik, das sollte man nicht vergessen. Nur, die Leute brauchen das richtige Umfeld und müssen betreut werden, speziell in diesen Zeiten.
Und als Produzent hast du die enorm wichitge Aufgabe, solche Gruppen zu finden, denn die Möglichkeit, daß sie in die falsche Richtung abgleiten, ist unheimlich groß. Es ist eben leichter, trendy zu sein. Die Musikindustrie kannst du mit der Wallstreet gleichsetzen: gut verkaufen und Geld machen. Wer sich dem entgegenstellt, der hat's nicht unbedingt leicht. Obwohl sich Qualität und Kommerz nicht immer ausschließen müssen: Nimm nur Marilyn Manson, Radiohead oder Björk, die mir derzeit unheimlich gut gefallen. Aber ich bin deshalb bei einem kleinen Label, damit ich überleben kann, bei einer großen Company und Releases von Acts wie Britney Spears hätte ich überhaupt keine Chance.«
|