© Metal Hammer August 1999

Autor: Henning Richter

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Der Outsider-Tip

“Ich gelte nicht als cleverster Mann der Welt, sondern als jemand, der guten Rock'n'Roll macht." Dieser Typ weiß eigene Stärken und Schwächen offensichtlich einzuschätzen. Sein Name: CHRIS GOSS. Seine Band: MASTERS OF REALITY.

Unter all den schrägen Vögeln im Musikgeschäft zählt Chris Goss sicher zu den schillerndsten Piepmätzen.

Was ihn auszeichnet ist sein skurriler Humor und guter Geschmack. Skurril auch die Wahl seines Wohnortes Palm Springs, auf den wir zu Beginn zu sprechen kommen, das legendäre Rentnerparadies in der Wüste Kaliforniens. “Leute wie Elvis, sein Manager Colonel Tom Parker, Showgrößen wie Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis jr. haben hier gewohnt. Ihr Geist ist immer noch da, deswegen lebe ich dort, hier wird das Nehmen eines Martinis noch zelebriert, das amüsiert mich."

Der wahre Grund, aus dem mein Gegenüber Palm Springs als Lebensmittelpunkt wählte, heißt jedoch Kyuss. Die folgende Story sagt viel über den Musik-Liebhaber Chris Goss: 1990 hatte seine Frau ein Demo-Tape der geliebten Wüstensöhne erhalten, das sie permanent spielte. Schließlich zog der Lava-Rock auch ihren Ehemann in den Bann. Das Pärchen sah sich die Truppe in einem Club an, wo sie ihre glühend heiße Show vor gerade mal zehn Leuten abzog. “Sie haben mich weggeblasen", erinnert sich Chris, immer noch fasziniert. “Ich setzte alles daran, ihr Debüt BLUES FOR THE RED SUN produzieren zu können. Ich hatte Angst, ein Metal-Produzent würde sie so dünn und anal (sie) klingen lassen wie die übrige fade Metal-Blase. Ich bettelte die Plattenfirma förmlich an - und am Ende vertrauten sie mir. Das war der Beginn einer langen Freundschaft zu Kyuss. Ich besuchte sie in Palm Springs und verliebte mich in die Wüste!"

Ursprünglich stammt Goss aus Syracuse, New York. Ende der Siebziger zog er in den “Big Apple". “Damals dominierte Punkrock die Szene in New York, und natürlich war ich auch ein Punk. In jenen Tagen hieß meine Band The Drastics. Ich habe sehr gute Erinnerungen an diese Zeit, ich könnte drei Tage davon erzählen. Das Musikgeschäft ist ein natürlich ein Riesenschlamassel, damals hatte man die fiesesten Schmalz-Fuzzis wie Barry Manilow und zur gleichen Zeit die Ramones, Sex Pistols und Led Zeppelin am Start. Heute ist es genauso, es gibt Scheiß-Musik und wirklich gutes Zeug! Ich habe allerdings nur Interesse an Leuten, die wissen, was guter Rock ist."

Seinen Kreuzzug für Qualität setzte Goss 1981 mit der Gründung der Masters Of Reality fort. Die Combo klang damals wie eine ausgefeiltere Version von Black Sabbath. Bereits der Bandname ist eine Hommage an Ozzy & Co., ist er doch dem dritten Sabbath-Album MASTER OF REALITY entlehnt. “Die Wahl hatte jedoch einen anderen Grund, ich wollte die hochnäsigen Rock-Intellektuellen nerven. Black Sabbath galten damals als prollig, sie waren nicht angesagt. Ich mochte die Musik, die in der Zeit rauskam: Joy Division, Psychedelic Furs, DAF und Kraftwerk. Aber ich mochte auch die Qualität von Led Zeppelin und Black Sabbath."

Auf die Frage, wie er die Achtziger verbrachte, sagt er: “ Betrunken. Ich war Disc Jockey, schrieb Songs und spielte mit der Band. Ich war ein Outsider-Tip." Erst 1988 nahmen die “ Meister der Wirklichkeit" ihr erstes Album auf. Zu dem Zweck flogen sie nach LA, um mit dem bärtigen Klangmagier Rick Rubin zu werkeln. Kein schlechter Schachzug, zumal Chris Goss bei diesen Sessions auch noch seine Frau traf. “Rubin war damals der populärste Produzent der Welt. Natürlich hatten wir Träume, in seinem Fahrwasser zum Erfolg zu schwimmen", gibt er unumwunden zu. Im Gegensatz zu vielen anderen rede er noch heute mit dem Rock-Svengali, betont Goss: “Rubin hat mir neulich über Anrufbeantworter einen Film empfohlen, “Pi”, und ich fand ihn gar nicht mal schlecht."

“1989 gingen wir auf Tour und ich stieg aus, es war ein Desaster. Ein paar Monate später reformierte ich die Band." Es vergingen weitere vier Jahre, bis die Masters Of Reality wieder ein Album zustandebrachten. SUNRISE ON THE SUFFERBUS klang ziemlich nach den Cream. Passenderweise hatte Goss den früheren Trommel-Gott der Cream, Ginger Baker, angeheuert. Auch diese Tournee ging nicht ohne Probleme ab. “Ginger wollte nicht touren, und man kann ihm das nicht verübeln. Als Vorgruppe von fürchterlichen Bands zu spielen, das konnte man einem Musiker seiner Größe nicht zumuten. Kannst du dir die Masters Of Reality vorstellen, wie sie vor einer Combo wie Godsmack spielen müssen? ,Das finde ich verletzend', sagte Ginger und dann fand ich das auch verletzend", lacht Goss. “Ich hätte einen anderen Trommler anheuern, weitertouren und eine Million Platten verkaufen sollen. Allerdings gelte ich nicht gerade als der cleverste Mann der Welt." Als was gilt er dann? “Als jemand, der gute Rock'n'Roll-Platten macht."

Ein Problem für Baker war auch das Geld. “Für wen ist das kein Problem?", gibt Goss zurück. “Wenn du 53 bist, wie Ginger damals, dann willst du nicht für hundert Dollars auftreten. Immerhin hat er der Kunst der Musik unglaublich viel gegeben. Er hatte erwartet, daß SUFFERBUS ein sofortiger Hit werden würde. Er hatte einfach keinen Bock, im Vorprogramm von Alice In Chains zu spielen und in Konkurrenz zu 20.000 anderen Kapellen zu stehen, die sich in Amerika Mitte der Neunziger rangelten." Frustriert zogen sich Goss und Baker in ihren Tourbus zurück und spielten Romme bis zum Ende der Nacht -daher auch der Titel der CD, zu deutsch: Sonnenaufgang im Bus der Leiden. “Es war ein Privileg, mit ihm zu spielen. Wir haben immer noch einen guten Draht, aber er wird bald nach Südafrika ziehen, dann werde ich ihn kaum noch sehen."

Im Jahre 1997 erschien HOW HIGH THE MOON .... LIVE AT THE VIPER ROOM. Im Rahmen dieses intimen Club-Gigs entfaltet die Goss-Gruppe ihr volles Potential, wie jeder Hörer leicht nachvollziehen kann. Zu den Höhepunkten der Scheibe zählt das Duett mit Stone Temple Pilosts -Frontmann Scott Weiland für 'Jindalee, Jindalie', ein Freund, dem Goss bis heute die Treue hält.
In diesen Tagen ist nun der dritte (Studio-) Streich auf den Markt gekommen, WELCOME TO THE WESTERN LODGE. Wiederum ließ sich Goss von den Siebzigern inspirieren, dieses Mal verneigt er sich vor Brian Eno zur Zeit von HERE COME THE WARM JETS (1973) und David Bowie und dessen Werk LOW (1977). “Diese beiden Platten haben etwas Neues begonnen. Bis zu diesem Tag hat niemand die Fackel von LOW weitergetragen, es ist immer noch ein Meilenstein. Man kann sehr viel daraus ziehen. Meine Platte ist von dieser Arbeit inspiriert, denn das war eine magische Periode. Ich habe LOW tausende von Malen gehört."

Völlig offen gesteht Goss, von seinen Favoriten beeinflußt zu sein. “Es gibt eine unglaubliche Fülle von guter Musik aus der Vergangenheit, auf die man sich beziehen kann. Wenn Hard Rock lebendig bleiben will, muß er eine neue Ästhetik nutzen. Er muß sämtliche Stile einsetzen vom frühen Swing über die Fifties bis zur heutigen Elektronik. Die meisten Bands heute langweilen mich zu Tode, wenn ich etwas spannend finde, dann sind es die dunklen gewalttätigen Bands oder die surrealen Acts wie Björk." Obwohl Goss das abstreitet, besteht die Band heute allein aus ihm, alle anderen Mitglieder wechseln, für die kommende Konzertreise wird er Mietmusiker anheuern.

Der anerkanntermaßen gute Geschmack von Goss hat dazu geführt, daß er immer wieder von Plattenfirmen engagiert wird, um Alben zu produzieren. So regelte er den Klang für Rocker wie lan Astbury, Scott Weiland, Stone Temple Pilots und The Flys.

Was ist das Hauptproblem eines Produzenten? “Bezahlt zu werden", meint er trocken. “Ich bin schnell gelangweilt, doch wenn die Songs gut sind, dann bin ich sehr interessiert." Immer wieder arbeitet er mit seinem Freund Josh Homme, früher bei Kyuss, heute Queens Of The Stone Age. “Zuletzt haben wir in Seattle einiges aufgenommen, das auf den sagenumwobenen DESSERT SESSIONS erschienen ist.
Wenn ich zurück in die Staaten fliege, werde ich mit den Queens Of The Stone Age einige nagelneue Titel einspielen, für den Soundtrack des neuen 'Heavy Metal'-Films. Das ist ein Comicfilm, von dem es bereits eine Folge in den Achtzigern gab." Auch mit Kyuss-Sänger John Garcia hat unser Mann Kontakt: “Ich produzierte kürzlich eine EP seiner neuen Band Unida, die im Internet verkauft wird."

Einen großen Wunsch will sich der Musik-Verrückte demnächst erfüllen: Er wird einen MOR-Song mit einem Sinfonieorchester aufnehmen. Wenn Chris Goss drei weitere Wünsche frei hätte, was würde er tun? “ Ich würde gern ein paar Lieder mit Jimmy Page und Robert Plant produzieren; dann würde ich gerne mit Marilyn Manson arbeiten, den ich liebe; außerdem würde ich gerne etwas mit Joey Ramone machen, einem musikalischen Genie." Man sieht der Typ hat noch viel vor, wir können uns also auf einiges gefaßt machen.