© Gitarre & Bass 1999

Autor: Arnd Müller

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CHRIS GOSS &
THE MASTERS OF REALITY

Die Masters Of Reality sind der klassische Geheimtipp:

Die Gruppe hat seit 1988 nur vier reguläre Alben herausgebracht und machte sich auf den Konzertbühnen ziemlich rar. Gleichzeitig gilt diese Rock-Band bei Musikerkollegen, Kritikern & Kennern als erstklassig. Für einiges Aufsehen sorgte das 1993er Masters-Of-Reality-Album “Sunrise On The Sufferbus“, spielte doch Ex-Cream-Musiker und Schlagzeuglegende Ginger Baker in der Band mit.

Band? Das ist nicht ganz richtig. Denn eigentlich steht hinter dem Dauerprojekt, von dem es jetzt endlich wieder eine neue Platte gibt, nur ein einziger Mann: Gitarrist, Sänger & Produzent Chris Goss.

Und der ist sauer. Am Abend vor dem morgendlichen Interview-Termin mit G&B hat ihn ein Radio-Journalist versetzt, der nicht zum vereinbarten Termin erschien. „Er hätte wenigstens anrufen und eine Nachricht hinterlassen können", regt sich Chris auf. Ärgerlicher Musikeralltag! Goss ist genervt davon, steckt sich als erstes eine Selbstgedrehte ins Gesicht, inhaliert tief und kommt langsam besser drauf.

Der massige Mann ist gerade auf Promo-Tour für das neue Masters-Of Reality-Album „Welcome To The Western Lodge“.
Warum dauert es eigentlich immer so lange, bis eine neue Platte von ihm erscheint?

Chris: „Ich war sehr beschäftigt, und finde mich jetzt in einem Umstand wieder, der es aus einigen Gründen für mich einfacher macht, Platten zu veröffentlichen. Ich habe die letzten zehn Jahren meine Rechnungen bezahlt, Masters-Of-Reality-Platten gemacht, wann immer ich konnte und aber auch andere Alben produziert. Ich befinde mich in einer Position, in der ich keine Major-Labels benötige. Ich muß nicht mehr sagen: Bitte, Mr.-Major-Company, gib' mir Geld, ich möchte eine Platte machen!" Das neue Album erscheint bei dem kleinen Label Brownhouse Records - „ohne den ganzen Major-Komitee-Bullshit", betont Chris. Bullshit?

Chris: „Versteh' mich nicht falsch, ich fühle mich nicht wie ein Opfer. Ich war möglicherweise das Opfer meiner eigenen dummen Fehler in den letzten Jahren." Chris spielt auf die problematische Zusammenarbeit mit Ginger Baker an. Das Album „Sunrise On The Sufferbus“ war recht erfolgreich, und die Single ,She Cot Me (When She Got Her Dress On)' erreichte sogar die Top 10. Trotzdem liefen die Dinge nicht so gut: Ginger hatte mit seinen damals 53 Jahren keine Lust mehr auf Tour zu gehen.

Chris: „Ich war frustriert. Ich wußte, wir hatten eine sehr gute Rock-'n'-Roll-Platte gemacht, aber kein weißer Ritter mit glänzender Rüstung kam, um mich zu retten und die Band wieder zurück auf die Bühne zu bringen.

Das Problem war der Bullshit, durch den du als Band gehen mußt: Du wirst auf Tour geschickt mit anderen Bands, die nicht zu dir passen; du mußt diesen Affentanz machen, du mußt deine Platte verkaufen. Wenn du jung bist, ist das OK. Mir macht es nichts aus durch diesen Bullshit zu gehen, wenn er sorgfältig geplant ist und du intelligente Journalisten und Radioleute triffst, die zu den Interview-Terminen auch anwesend sind. Ich kann Ginger nicht vorwerfen, daß wir damals nicht im Vorprogramm von Alice in Chains aufgetreten sind.

1993 fand die Seattle-Invasion statt mit Alice In Chains, Nirvana, Soundgarden usw. Das war die einzige intelligente Rock-Musik, die gemacht wurde, und wir hätten mit diesen Bands auf Tour gehen können. Mit Ausnahme von Neil Young vielleicht, aber wir waren für Young immer noch zu frisch und zu metallisch. Unsere Optionen, mit wem wir damals hätten touren können, waren so gesehen also begrenzt.

Ginger verstand das nicht. Zu seiner Zeit hättest du eine Platte wie ,Sufferbus' -entschuldige, daß ich so anmaßend bin -herausbringen können, und sofort hättest du vor 5000 Leute als Headliner gespielt. Als wir die Platte gemacht hatten, meinte er, wir müssen 10.000 Dollar oder mehr pro Show bekommen.

Aber in den Staaten und überall gab es so viele neue Acts zu dieser Zeit. Es war nicht die einzige Rock-Platte, die in jener Woche veröffentlicht worden ist, wie damals vielleicht ,Disraeli Gears' (von Cream, 1967; d. Verf.). Ich denke, er war sehr stolz auf seine Arbeit. Er dachte nobel: Wir haben eine gute Platte gemacht, wir sind eine gute Band, wir sollten 10.000 Dollar pro Show bekommen und in großen Theatern spielen. Aber so funktioniert das leider nicht mehr. Und wie hätte ich ihn zwingen können - ich wäre auch nicht durch diesen Shit gegangen, wenn ich über 50 gewesen wäre. „Fuck it, man."

Schnell sind wir uns einig, daß Ginger Baker die auffälligste Figur bei Cream war - obwohl er neben so starken Charakteren wie Jack Bruce und Eric Clapton saß.

Chris: „Ohne ihn hätte diese Band nie existiert. Und Gott weiß, wie schrecklich es sonst gewesen wäre. Sein swingendes Spiel gab Cream das Mystische, die musikalischen Arschbacken und dabei fast etwas Mediterranes. Ginger liebt Italien und lebte für eine Weile in der Toscana.”

Er ist dann nach Südafrika gezogen. Ich sehe ihn nicht mehr so oft."Die Geschichte von Masters Of Reality und Ginger Baker ist Rock-History, und nach dem '97er Live-Album „How High The Moon“ gibt es jetzt endlich wieder eine neue Aufnahme.

Beteiligt waren an „Welcome To The Western Lodge“ neben Chris Goss an Gitarren und Mikrofon noch John Leamy (dr/keys/b) und Techniker Martin Schmelzle.

Innerhalb von vier Wochen wurde die Platte aufgenommen und gemixt. Wie sah die Arbeit im Studio aus?

Chris: „Wir haben Bass und Schlagzeug meistens zur selben Zeit aufgenommen. Wir hatten ein grobes Arrangement von diesen Nummern - die meisten Sachen sind First Takes."

„WelcomeTo The Western Lodge“ ist ein vielschichtiges  Album, das „Melodiöses“ und '“Schräges“ miteinander verbindet. Die Atmosphäre der Musik erinnert stellenweise an Pink Floyd, David Bowie und Led Zeppelin – Jimmy Page ist Goss' erklärter Held, daneben gibt es aber noch andere musikalische Einflüsse.

Chris: „Ich denke, du wirst überrascht sein. Es fängt in den 40er Jahren an mit Nelson Riddle und seinem Orchester. Er war der Arrangeur und Dirigent von Frank Sinatras besten Sachen in den 50ern und 60ern.

Seine Arrangements waren für die Zeit sehr „modern“. Sie waren kontrapunktisch angelegt, für die Bläser, sehr sexy. Meine Einflüsse reichen dann von diesen Sachen über Jimmy Page zu lan Andersen von Jethro Tull und zurück zu Scotty Moore, dem Gitarristen von Elvis."

Der Sound der Masters Of Reality zeigt außerdem ein ganz spezielles Feeling. Chris zum Thema Blues: „Ich mochte den Blues mehr, nachdem er gothicised wurde durch Cream und Led Zeppelin. Erst die europäischen Bands machten den Blues gothic."

In den letzen Jahren arbeitete Chris Goss an diversen Soundtracks, u. a. zu den Filmen „Marked For Death", „Tank Girl", „Strange Days" und „Disturbing Behavior". „Die meiste Zeit arbeitete ich mit Bands an Songs für den Soundtrack.

Ich liebe es, Filme mit Musik zu unterlegen, Musik für einzelne Passagen zu schreiben. Das ist so etwas wie ein schöner Ruhestandsjob - wenn du nicht mehr reisen oder auf Tour gehen willst. Filmmusik komponieren ist ein großartiger Weg, seinen Lebensunterhalt zu verdienen." Um den zu sichern, war und ist Goss außerdem als Produzent tätig, u. a. für Kyuss, die Stone Temple Pilots und die hervorragende Band The Flys (s. Discografie). Zuletzt arbeitete er außerdem an einem Solo-Album von Sänger lan Astbury (The Cult), das demnächst erscheinen soll. „Du solltest beim Label Beggar's Banquet anrufen, damit sie dieses fucking thing endlich rausbringen", sagt er. „Ich habe sieben Monate mit lan daran gearbeitet, l'm pissed off - sieben Monate meines möglicherweise recht kurzen Lebens." Keine Sorge, Chris, die Promo ist inzwischen angelaufen. Übrigens arbeitet Astbury auch noch an einer Reunion von The Cult - das nur nebenbei. Für andere Leute Gitarre zu spielen, liegt Goss weniger.

Chris: „Oh, das ist ziemlich locker. Ich habe sehr viel auf lan Astburys Album gespielt; fast alles, was drauf ist: Keyboards, Bass, Gitarren.

Er bearbeitete mich wie ein Tier. Er ist Typ A - das ist jemand, der dazu bestimmt ist, eines Tages eine Herzattacke zu bekommen. Aber ich mag diesen Bastard. Ich werde mit ihm im Juli eine Show in L.A. spielen. Er ist ein verrückter Motherfucker, aber er ist liebenswert."

In Goss' Monkey Studios haben zuletzt Gitarrist Josh Homme (Ex-Kyuss) zusammen mit seiner neuen Band Queens Of The Stone Age ihr Debüt-Album aufgenommen. An diesen Aufnahmen war Chris allerdings nicht beteiligt. „Ich denke, Josh hat einen großartigen Job auf seiner Platte gemacht.

Wenn du ein Gitarren-Fan bist, solltest du die  Platte anchecken." Dem kann man nur zustimmen. Chris Goss ist im anstrengenden Music Biz inzwischen 40 alt geworden und lebt im US-Rentnerparadies Palm Springs. Ist er zufrieden mit dem Erreichten?

Chris: „Manche Leute haben Glück. Ich habe einige junge Musiker  gesehen, die heute Millionäre sind. Es war schon immer so im Musik-Business. C'est la vie. Wer ist schon zufrieden? Ich würde ihn oder sie gerne treffen, denn ich habe noch nicht verstanden, was zufrieden bedeutet."

Und zum Schluß gibt der Musiker dem Musikjournalisten noch ein paar Tips: „Du solltest dich in die Musikgeschichte vertiefen. Ich denke an die Swing-Arrangeure der 30er und 40er Jahre, oder eben Nelson Riddle in den 5Oern, denn von dort kommt der Rock 'n' Roll. Und man kann sehr viel für sich herausziehen. Dann fängst du an herauszufinden, wer der Komponist war, wer der Drummer war, und du findest heraus, mit wem dieser Drummer noch gespielt hat. Kennst du Earl ,Fatha' Hines? Er hat Ende der 30er, Anfang der 40er jähre Swing-Musik gespielt, die sich nach Aerosmith anhört. Es gibt da einen Song mit dem Namen ,G-Stomp'. Viel Glück beim Suchen!"