© Rockhard 1998

Autor: Chris Leibundgut

Bilder: Alex Solca

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Fortunas Stiefkinder

Thin Lizzys “Live And Dangerous”, “Strangers In The Night” von UFO, Deep Purples “Made In Japan”... Das waren noch Zeiten! Allesamt essentielle Tonkonserven. Hand aufs Herz: Dagegen ist das, was heutzutage so an Livehaftigem erscheint, in der Regel genauso überflüssig wie ein Pickel am Allerwertesten oder der Moby-Remix der letzten Metallica-Single.

Anders liegt die Sache da bei “How High The Moon”, dem aktuellen Lebenszeichen von MASTERS OF REALITY, einer der ausdrucksstärksten US-Combos der letzten zehn Jahre. Mitgeschnitten im “Viper Room” (Schauspieler Johnny Depps Schickimicki-Laden auf dem Sunset Strip), fahren die Mannen um Sänger/Gitarrist Chris Goss jenseits von Elektrolurchis, Vampirgotik und Ska-Gepunke erdig-authentischen, Blues-betonten Rock´n´Roll der Extraklasse auf. “No frills - just thrills” und locker aus der Hüfte, genau wie der Hintergrund der Scheibe.
"Das Ganze war eigentlich eine ganz spontane Idee von Malicious Vinyl, für die ich zu dem Zeitpunkt gerade die Slo Burn-EP produzierte", nimmt Mainman Chris Goss den Faden auf. "Wir hatten die EP so gut wie im Kasten und mit MASTERS OF REALITY ein paar Shows im “Viper Room” anstehen, als Paul Ellis von Malicious mit dem Vorschlag ankam, wir sollten die Gigs doch mitschneiden lassen. Ich gab mein Okay, und ehe wir uns versahen, stand am ersten Abend auch schon ein Mobile-Truck vor dem Club! Wir haben bis zum heutigen Tag noch nichts Schriftliches von Malicious; alles basiert nur auf einem Handschlag. Aber Hauptsache, es gibt endlich mal wieder ein bißchen Masters-Musik für unsere Fans."

Und die MOR-Gefolgschaft wird´s Goss und Co. zweifellos danken, auch wenn auf “How High The Moon” mit ´Alder Smoke Blues´, ´Swingeroo Joe´ und ´Jindalee Jindalie´, einem Duett mit Stone Temple Pilots-Frontmann Scott Weiland, nur drei neue Songs am Start sind - den Bluesklassiker ´Goin´ Down´ nicht mitgezählt. Was ist mit dem ganzen Stoff, den man vor ein paar Jahren mal auf Kosten von Epic für ein geplantes Studioalbum aufnahm und nie veröffentlichte?
"Nun, die neuen Songs auf “How High...” haben wir ursprünglich während der Epic-Sessions eingespielt, und es gibt ungefähr ein halbes Dutzend weiterer Tracks, die ich über kurz oder lang verwenden werde, denn die Rechte an den Songs besitze ich nach wie vor", läßt Chris durchblicken.
Gar nicht auszudenken, wozu die Masters fähig wären, wenn sie sich endlich mal längere Zeit ausschließlich auf die Band konzentrieren könnten, anstatt ständig vom Regen in die Traufe zu geraten. Laut Plan hätten MOR eigentlich den Sommer über zusammen mit Slo Burn in den Staaten auf Achse sein müssen - eine Tour, auf die sich beide Bands riesig freuten. Stattdessen ging Red Ant, dem Vertriebspartner von Malicious Vinyl, quasi über Nacht die Luft aus. Sämtliche Dates wurden ersatzlos gecancelt, womit sich MASTERS OF REALITY eine vernünftige Promo für “How High...” in die Haare bzw. Glatze schmieren konnten.
"Wir hatten die Tour fest eingeplant, und als man uns dann zwei Wochen vor dem Startschuß den Teppich unter den Füßen wegzog, setzte bei jedem von uns der “Save your own ass”-Alarm ein", erzählt Chris konsterniert. "Ich selbst bin gerade mit der Produktion der neuen Ian Astbury-Scheibe beschäftigt, während unser Drummer Victor Indrizzo zusammen mit Scott Weiland an dessen Soloalbum arbeitet; jeder macht halt das, was zum Überleben nötig ist..."

Ganz schön heftig, wie sehr das Schicksal dem Quartett in letzter Zeit mal wieder mitgespielt hat. Kommt man da nicht früher oder später an den Punkt, wo man den Kram ein für allemal in die berühmte Ecke schmeißen will?
"Nein, irgendwie geht´s immer weiter, und als Songwriter und Musiker kann ich mir nicht vorstellen, einfach aufzuhören. Dasselbe gilt auch für die Leute, mit denen ich zusammen Musik mache. Ich habe auch gar keine andere Wahl, weil es nicht meine Absicht ist, nur noch als Produzent zu arbeiten. Dafür trete ich viel zu gerne live auf.
Rock´n´Roll ist einfach ein verdammt komisches Geschäft. Auf der einen Seite gibt es Leute, die wahrscheinlich ihren rechten Arm dafür geben würden, um mit den Musikern arbeiten zu können, mit denen ich gearbeitet habe; andererseits könnte man mich und MOR nach dem, was bisher passiert ist, als riesige Pechvögel ansehen. Aber immerhin verdiene ich meinen Lebensunterhalt mit der Musik, und mir das immer wieder vor Augen zu halten, ist der einzige Weg, nicht komplett durchzudrehen oder mir die Kugel zu geben."
Chris´ Monkey-Studio in der Nähe von Palm Springs hat sich zwischenzeitlich bereits über die Wüste hinaus zu einem echten Insidertip entwickelt und dem MOR-Boß eine Menge Arbeit beschert, "auch wenn nicht alles, was hier entsteht, automatisch auch von mir produziert wird - Gott sei Dank!"
Neben Ex-The Cult-Frontmann Astbury haben sich seit Anfang des Jahres u.a. die Belgier Soulwax und The Flys sowie die ehemaligen Queen-Huldiger Mozart (!) im “Affen” breitgemacht, und selbstverständlich dient die Goss-Oase als MASTERS OF REALITY-Hauptquartier.
"Endlich mein eigenes Studio zu besitzen, bedeutet für mich in erster Linie ein großes Stück Freiheit - Freiheit, Platten machen zu können, ohne darauf warten zu müssen, bis ein Label grünes Licht dafür gibt. That´s what it´s all about - ob es nun um mein eigenes Ding geht oder die Musik von anderen Leuten mit oder ohne Deal, die mir gefällt. Glücklicherweise haben sich die Dinge für mich bisher ziemlich positiv entwickelt, und es sind schon eine ganze Menge Anfragen von Leuten gekommen, die gerne hier im Studio aufnehmen würden. Die Wüste hat halt diese ganz spezielle Ausstrahlung."
Wie lautet noch mal das alte Klischee? The desert lives!