© Visions  1994

Autor: Dirk Siepe

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KYUSS

”Wüstensöhne machen Fickmusik”

Lange hat es gedauert, verdammt lange sogar. Das Hickhack um die Veröffentlichung ihres sehnsüchtig erwarteten dritten Longplayers „Sky Valley“ erinnerte bisweilen an altbekannte Verzögerungs- taktiken, mit denen sonst nur launische Diven vom Schlage eines Axl W. Rose ihre Fans auf die Folter zu spannen pflegen. Daß bei Kyuss als Grund weder Arroganz noch Ignoranz in Frage kommen, wurde schon bei unserem ersten Treffen im September letzten Jahres auf dem Foundations Forum in Los Angeles klar, wo das längst fertige Tape auf einer kleinen Präsentationsparty vorgestellt wurde. Aber so richtig wohl fühlten sich Sänger John Garcia und der neue Bassist Scott Reeder inmitten der aufgeblasenen Wichtigkeiten und Poserhorden offensichtlich nicht, und so kam ich zu der Ehre einer Einladung nach Cathedral City in der Palm Desert, wo diese obskure, untypische Band ihre Wurzeln hat.

Einen Monat, zwei Faxe und ungezählte Telefonate später ist es dann endlich soweit. Alle vier Bandmitglieder konnten zwar nicht unter einen ut gebracht werden, aber wenigstens haben John und Scott den ganzen Abend Zeit für mich. Drummer Brant Bjork und Fiedler Josh Homme hätte ich zwar gerne mal kennengelernt, aber ich bin auch dankbar für jede fremde Stimme auf dem Tape. Noch ist es allerdings jungfräulich unbespielt und ich miß erst mal zu den verbleibenden Stimmen finden. Also schnell einen Wagen gemietet, Air Condition und Tapeplayer aufgedreht und auf den Freeway Richtung Palm Springs, immer der sengenden Sonne entgegen. „Gardenia Asteroid“ und „Supa Scoopa And Mighty Scoop“, das römisch anmitende Opus der neuen Kyuss, sind ein vielversprechender Start in diesen Tag, eine heftige, intensive Soundreise. Schon bei den ersten Tönen hört man die Klasse und Virtuosität von Scott Reeder, der zuvor bei den befreundeten Obsessed die dicken Saiten zupfte. „100°“ geht dann etwas straighter zur Sache. Der Song hat unwiderlegbaren Hitcharakter und den Refrain dürfen Stadionrocker sogar mitgröhlen. Mit „Space Cadet“ folgt die verdiente Ruhe nach dem Sturm, ein musikalischer Sonnenuntergang für Traumtänzer. Eine derart berauschende Wärme strahlen Monster Magnet auch in ihren allerbesten Momenten nicht aus. Wenn dich diese akustischen Halluzinogene nicht high werden lassen, versuch’s erst gar nicht mit anderen Mitteln. Nüchterne Gemüter können mit dieser Musik ungefähr so viel anfangen, wie Helmut Kohl mit einem guten Buch. Inzwischen bin ich mitten in der Palm Desert. m bei diesem erhabenen Anblick nicht einfach Sinne und Steuer sich selbst zu überlassen, bedarf es schon einer Portion Willenskraft. Was für eine Hitze!

Daß sich Johns Humor bester Gesundheit erfreut, zeigen nicht nur Textzeilen, die übersetzt etwa „Mein Haar ist ganz schön lang“ oder „Ficken dauert so lange“ bedeuten, manchmal sitzt dem guten Jungen einfach ein fetter Schalk im Nacken. Jedenfalls weigere ich mich, alles zu glauben, was er da von sich gibt. Fragt er mich doch aus heiterem Himmel, was ich denn von den Eagles, ELP oder Allman Brothers halten würde. Von meinen Antworten („geht so“, „nicht viel“ und „mir egal“) sichtlich enttäuscht, offenbart er meiner staundenden Person, daß ebendiese Herren zu seinen Haupteinflüssen zählten. Das erwartete Grinsen unterdrückt John gekonnt. Nicht mit mir! Schließlich ist er gerade 23 und bestimmt nicht mit solchen Dinosauriern aufgewachsen. Das zarte Alter scheint ihn irgendwie glauben zu lassen, die Band habe alle Zeit der Welt und er sieht der Tatsache, langsam in Vergessenheit zu geraten, recht gelassen ins Auge. „Wir haben es nicht eilig, arbeiten nicht nach Regeln, dann und dann muß das und das passieren. Die Leute sollen verdammt noch mal warten.“ - „Wir gehen nicht oft auf lange Touren,“ fügt Scott beschwichtigend hinzu. „Sechs Wochen waren bis jetzt das Längste. Wir haben einfach schon zu viele Bands getroffen, die nache inem Jahr ununterbrochener Tour nur noch krank waren.“ Daß er Johns Laissez Faire-Einstellung jedoch nicht ganz teilt, hat er mir schon vor Wochen ausgiebig erzählt. Mag es daran liegen, daß er mit seinen 28 Jahren der Bandopa ist, oder an den beiden erfolgreichen Europa-Tourneen, die er schon hinter sich hat. Jedenfalls weiß er, wie wichtig Europa und besonders der deutsche Markt sind, und er hat mir fest versprochen, die Wüstensöhne gehörig in den Arsch zu treten und ‘94 auf jeden Fall beu uns vorbeizuschauen. John ist neugierig, was für ein Publikum sie in unseren Breiten erwartet und wer meiner Meinung nach die passendste zweite Band für ein Package wäre. Den Namen Monster Magnet erwähne ich ihm gegenüber besser nie wieder. „Monster Maggot“, schnaubt er verächtlich, „sind auf einem komplett anderen Trip als Kyuss. Was mich angeht, gibt es nichts gemeinsames zwischen uns. Sie leben ihre Lügen und haben ein verdammtes Image.“ Das Publikum werden sie sich trotzdem teilen müssen. Wer die hohe Kunst der psychedelischen Sounds beherrscht, braucht sich nicht zu wundern, wenn er seinen Namen in die Drogenrock-Ecke gestempelt sieht. Dabei weiß John eine viel bessere Schublade. „Wir sind keine Drogies. Ich persönlich denke eher, daß es Sexmusik ist. Es ist Fickmusik, das ist es, was es ist.“ Also werden Kyuss wohl eher auf einem Benefiz für die freie Liebe spielen als ein großes Festival für die Marihuanalegalisierung zu headlinen, obwohl es an solchen Angeboten weiß Gott nicht mangelte. „Man hat uns so eine Tour angeboten, aber ich weiß icht. Wenn du es rauchen willst, rauch es und halt’s Maul. Das ‘High Times’-Magazin wollte sogar, daß wir für sie mit großen Marihuanapflanzen posieren. Das ist nicht unser Ding. Bei Kyuss geht es nicht um Drogen oder Politik, es geht einzig und allein um die Musik. Diese Band ist keine Seifenkiste, auf die sich jeder stellen und seine Meinung verkünden kann.“

Es ist schon spät am Nachmittag und das Thermometer zeigt ermarmungslose 41 Grad. In diesem Klima rocken die sich hier den Arsch ab?! Kein Wunder, daß Kyuss nicht gerade nach europäischen Geschwindigkeitsmaßstäben arbeiten, in dieser endlosen Weite scheint Zeit einfach jegliche Bedeutung zu verlieren. Hausnummer 87680, endlich da. Auf den ersten Blick sieht alles aus, wie überall: Ein wunderschöner Uralt-Chevy verrottet gleich neben einem ziemlich neuen Allradjeep und der Vorgarten beherbergt nur noch vertrocknete Planzenreste. Bevor ich Scott begrüßen kann, stellt sich erstmal Pumpkin vor, sein ungestüm verspielter Pitbull. Ringsum verstreut liegen drei todfaule Katzen, eine schöner, als die andere. John Garcia, Kyuss’ mächtige Stimme, wohnt nur einen Steinwurf die Straße runter und lebt, genau wie Scott, schon seit Kindertagen hier. Man kennt sich also schon länger. John ist noch bei der Arbeit, laut Scott so etwas ähnliches wie ein Tierarzt, kommt aber auch gleich. In der Zwischenzeit blättern wir durch seine sorgfältig dokumentierte Muskerkarriere. Da er mit Obsessed schon zwei Mal in Deutschland war, stoßen wir sogar auf ein paar gemeinsame Bekannte. Seine Frau Jenny gesellt sich zu uns, als John auch schon in der Tür steht. Ich bin ziemlich verwundert, hatte ich ihn doch bei unserer ersten Begegnung als eher zurückhaltenden Menschen erlebt, dem der ganze Business-Trubel reichlich am Arsch vorbeizugehen schien. Hier und heute zeigt er sich von seiner plauderfreudigen Schokoladenseite.

Genu die richtige Stimmung, um direk ein nicht ganz so erfreuliches Thema anzuschneiden: Die viel zu lange Sendepause nämlich. Schließlich hat der hochgelobte Vorgänger „Blues For The Red Sun“ mittlerweile zwei Jahre auf dem Buckel und die verschwindend geringe Zahl derer, die sich noch an dieses Meisterwerk erinnern, wird ständig mit neuem VÖ-Datum und Titel vertröstet, dabei ist der Song „Demon Cleaner“ sogar schon auf der Foundations-CD enthalten. „Ich glaube, daß es für die Band so besser war,“ murmelt John nach etwas Bedenkzeit. „Wollten wir es noch 1993 herausbringen, hätten wir zu sehr unter Zeitdruck gestanden. Jetzt können wir uns mit dem Artwork mehr Zeit lassen, bessere Fotos machen und alles noch mal in Ruhe hören.“
Mit der musikalischen Seite sind die beiden vollauf zufrieden, schließlich saß in Person von Masters Of Reality-Mastermind Chris Goss wieder der einzig in Frage kommende Mann an den Studioreglern und hatte ein waches Auge darauf, daß brachiale Rohgewalt und Soundvibrationen nicht irgendwelchem digitalen Schnickschnack zum Opfer fielen. Zwar wirkt das neue Material etwas strukturierter und nicht mehr ganz so ausschweifend wie auf „Blues...“, doch der tonnenschwere Psychedelic-Blues kommt immer noch unüberhörbar spontan aus dem Bauch, ohne bei einem umweg über das ZNS an Kraft einzubüßen. Das ist nicht weiter verwunderlich, waren auf derm Weg ins Studio doch „gerade mal die Grundideen vorhanden“ wie Scotty erklärt. „Vieles haben wir erst dort geschrieben, einiges ist auch purer Jam. ‘100°’ oder ‘Whitewater’ sind zum Beispiel reine Studioprodukte.“ Letzteres darf wohl getrost als purer Scherz verstanden werden, den sie sich in einem Moment unbeschwerter Heiterkeit erlaubt haben. So gleicht das Outro „Whitewater“ mehr einer Persiflage auf naives Pop-Geträller, statt auch nur entfernt einem Kyuss-Song nahezukommen. „Es ist, was es ist. Ein verdammter Joke. Nicht mehr und nicht weniger,“ lautet Johns lakonischer Kommentar.

Seine Frau hat unterdessen ein Video eingelegt, auf dem Kyuss live anläßlich der letzten Generator-Party zu sehen sind. Ich bin überrascht, wie schnell sie manche Stücke spielen und wie familiär es dabei zugeht. Die drei scheinen fast jeden im Publikum zu kennen. Jennys unermüdlichem Zureden ist es auch zu verdanken, daß sich der etwas träge Scotty noch zu einer kleinen Jeep-Tour zum Schauplatz besagten Konzertes hinreißen läßt. Und wie wir so mitten in der Nacht im immer noch heißen Sand sitzen und auf die Lichter von Cathedral City herabschauen, kann ich gut nachvollziehen, warum Kyuss nicht für allen Ruhm der Welt von hier weggehen möchten. Scotts Jeep gräbt sich gleich dreimal nacheinander tief in den Wüstensand, was uns gut zwei Stunden Gegrabe und Geschiebe beschert. Während wir im Sand wühlen, muß ich immer wieder an die beiden hochgiftigen Sidewinder-Klapperschlangen denken, denen wir kurz zuvor begegnet sind. Jedenfalls bin ich froh, als wir uns wieder auf dem Weg Richtung Zivilisation befinden und Scott mir von einem riesigen, freien und schlangensicheren Bett erzählt.