Artikel © Metal Hammer Januar 1993

von Oliver Recker

 

Kyuss - Desert Rock

Wie hieß das Teil noch gleich, das im letzten Heft mal eben "Album des Monats" geworden ist? BLUES FOR THE RED SUN, ach ja... Und die Band? KYUSS? Nie gehört. "Wüsten-Rock", ziemlich hart und sabbathig, aber auch melancholisch schön? Klingt nicht schlecht, erzähl mal...

Sowas gibt es nicht alle Tage: Da ist 'ne Band und ihr Album, keiner weiß, wie der Bandname richtig ausgesprochen wird, wo die Musiker herkommen, und überhaupt - eine kleine Erklärung ist mehr als angesagt. Kyuss (ausgesprochen: Keies) kommen aus Südkalifornien, genauer gesagt aus Palm Desert, was in der Nähe von Palm Springs, zwei Autostunden entfernt von Los Angeles, liegt. Die Band existiert seit einigen Jahren, hieß ganz früher mal 'Katzenjammer' und besteht aus vier Burschen: Brant Bjork (d), Josh Homme (g), Nick Oliveri (b) und John Garcia (voc) - allesamt unter fünfundzwanzig.

Ihr Debütalbum WRETCH erschien im November '91 in den Staaten und ist bis dato nicht in Deutschland erhältlich. Ist nicht weiter schlimm, denn so toll ist das Ding im Vergleich zum aktuellen Album nicht, obwohl man schon gute Ansätze heraushören kann/konnte. Wie dem auch sei, das zweite und aktuelle Werk heißt eben BLUES FOR THE RED SUN, ist in Deutschland erhältlich, wurde von Masters Of Realitys Chris Goss produziert und ist ziemlich klasse. Basta. Ich verweise nochmals auf das 'Album des Monats' im letzten Heft -zehn Soundchecker können SO falsch nicht liegen. Wenn selbst so gestandene Männerwar-Fetischisten wie Schöwe, Mainstreamer wie Staude, Todesmetaller wie Müller, Nörgler wie Lorant, 'Weltfremde' wie Gross, Mittdreißiger wie Richter und Mütter wie Nieradzik gerne Fünfen und Sechsen zücken, dann, will ich meinen, hat das schon was zu heißen.

So, genug geschwallt, John Garcia, seines Zeiches Sänger bei Kyuss, ist nach langem hin und her endlich am anderen Ende der T-Leitung und erzählt zuerst mal spontan eine Geschichte zu dem aktuellen Album: "Die ganze Aufmahmeprozedur mit Chris Goss war eine religiöse Erfahrung. Alles hat wunderbar harmoniert. Ob die Platte jetzt 'Album des Monats' oder 'Album des Jahres' geworden ist, oder ob sie sich 500 Mal oder 18.000 Mal verkauft hat - wir hatten eine großartige Zeit im Studio und sind total zufrieden mit BLUES FOR THE RED SUN - ob das Teil gut laufen wird oder nicht, das spielt keine Rolle mehr. Wir haben das beste Kyuss-Album gemacht, was wir machen konnten. Und das zählt."

Wie kam die Zusammenarbeit mir Chris Goss eigentlich zustande?

"Ach, wir sind schon recht lange Freunde. Ein ehemaliger Manager von uns war mal gut mit ihm befreundet, und als wir irgendwann in L.A. spielten, fragte er ihn, ob er nicht Lust hätte, mal vorbei zuschauen. Er kam und fuhr auf uns ab; genauso, wie wir seine Musik lieben. Eigentlich ist seitdem eine Freundschaft und eine gute Verständigung da, er wusste, worum es bei uns geht. Es gab nicht viele Leute, die überhaupt mitbekommen haben, was bei uns abgeht. Er wusste sehr viel über uns, und deshalb ließen wir ihn BLUES FOR THE RED SUN produzieren. Mit dem Endresultat sind wir völlig zufrieden, wie ich vorhin schon sagte, es war eine wirklich religiöse Erfahrung."

In welchem Sinne religiös?

"Gefühle aus dem Herzen, Gefühle aus deiner Seele. Alles kam zusammen, Ideen flössen ununterbrochen, alles war perfekt. Das meine ich mit religiös. Es war fast so wie in einer Kirche zu sein."

Aber ohne Kerzen...

"Die hatten wir überall stehen! Wir hatten haufenweise Kerzen und Räucherstäbchen, zu jeder Zeit. Die Atmosphäre war super."

Hört sich ziemlich Hippie-mäßig an...

(Er überlegt kurz) "Hmm, ich glaube das kann man sagen, obwohl das nicht unbedingt für Kyuss so war."

Das wundert mich - Songtitel wie 'Molten Universe', 'Green Machine' oder '50 Million Year Trip' hören sich verdammt nach Hippie-Kultur an. Meine persönliche Formulierung war ungefähr folgendermaßen: vernebelter Dope-Trip durch Hippieland. Ohne Socken und Schuhe...

(John muss lachen und verschluckt sich) "Das ist klasse, Mann, eine großartige Beschreibung für diese Songs. Aber du kannst dir alle Lieder anhören, und wirst immer etwas aus der Musik und den Texten schließen können. Deshalb drucken wir unsere Texte auch nicht ab, denn man soll das aus den Lyrics heraushören, was einem selber einfällt, was man versteht. Ok, für englisch sprechende Leute ist das bestimmt leichter, alleine vom Verstehen her - was aber nicht heißt, dass man die Texte gleichzeitig dann auch begreift. Sie können etwas völlig anderes bedeuten als die Wörter, die man liest. Es hängt davon ab, wer zuhört."

Ich erinnere mich da an eine Zeile aus einem Song, den ich jetzt vergessen habe: 'You've been burnt by my lighter..' ('Du bist von meinem Feuerzeug verbrannt worden') Worum geht es denn in diesem Lied? Du hast jemandem Feuer gegeben, und der hat sich verbrannt...

"Well, das ist im Song 'Thumb'. Das gibt es doch gar nicht! Jeder kennt diese eine verdammte Zeile. Besonders bei 'Thumb' kann man im allgemeinen gut verstehen, was ich sage, aber jeder erinnert sich an diese Zeile. Das ist echt abgefahren. Unser Gitarrist Josh Homme hat den Text dazu geschrieben, und ich glaube, noch nicht mal ich oder überhaupt die anderen Bandmitglieder verstehen, was er zu dem damaligen Zeitpunkt gefühlt oder gedacht hat und was er vermitteln wollte. Es könnte einfach alles bedeuten, aber auch gar nichts. Das ist jedem selbst überlassen."

Voll in Ordnung. Kommen wir von den lyrischen Ergüssen nun zu den musikalischen - 'Let The Music Do The Talking' fällt mir jetzt irgendwie spontan ein. Eure Musik wird oft als 'Desert Rock' ('Wüsten-Rock') bezeichnet. Wie kommt das?

John erklärt: "Wir kommen aus Palm Desert, wir sind in der Wüste aufgewachsen. Sie hat großen Einfluss auf uns, beim Schreiben der Stücke, bei allen Sachen eigentlich. Unsere Inspirationen sind so isoliert, obwohl wir nur zwei Stunden von L.A. entfernt leben. Palm Desert könnte auch woanders liegen, mitten auf dem Mars zum Beispiel. Es ist wunderhübsch da draußen, es gibt Berge und Canyons, viel Dreck und keine Clubs, wo Bands wie wir, Bands aus der Wüste, spielen könnten. Also gehen wir in die Täler, in the middle of nowhere, stellen einen Generator und Licht auf, laden Kids ein und zocken 'nen paar Sachen ab - und haben eine verdammt gute Zeit dabei. Mitten in der verdammtem Wüste! Daher stammt der Ausdruck 'Wüsten-Rock'. It's the coolest club the world, man! Sowas ist einzigartig. Die Wüste ist der coolste Club auf der ganzen Welt."

Was für ein Ausspruch, vor allem wenn man bedenkt, was 'cool' eigentlich bedeutete, bevor es richtig Alltags-straßenkompatibel wurde. Anyway, die Songs auf BLUES FOR THE RED SUN klingen doch ziemlich oft nach Sabbath und Led Zeppelin. Ich habe gehört, dass ihr mit diesem Vergleich nicht so viel anfangen könnt, obwohl es, nicht nur für mich, eindeutige musikalische Parallelen gibt.

Dazu John: "Ich denke schon, dass wir was damit anfangen können, aber diese Bands beeinflussen uns nicht. Unser Gitarrist Josh hat Sabbath zum ersten Mal vor ca. sieben Monaten gehört, und wir machen unseren Sound schon sehr viel länger."

Aha, was für Alben hast du persönlich denn zu hause im Regal stehen?

Er seufzt und überlegt. "Hmm, Masters Of Reality natürlich, Lenny Kravitz, Fear, Bad Brains, The Cult, ZZ Top, Earth, Wind & Fire und so was. Ganz verschiedene Sachen eigentlich."

Aber Sabbath war das Stichwort für 90% aller Leute, denen ich euer Album vorgespielt habe.

"Ich weiß, das kriegen wir immer zu hören."

Kotzt euch das nicht an, zumal du vorhin sagtest, daß Josh erst...

(er unterbricht mich) "Wir bekommen das wirklich oft zu hören, und bisher regen wir uns noch nicht sonderlich darüber auf. Vielleicht sollten wir mal damit anfangen. Aber es überrascht mich trotzdem, wir setzen uns nicht hin, hören Sabbath und wollen auch so klingen. Wir spielen fucking Kyuss-Sachen. Wir hören uns nicht Led Zeppelin an, und versuchen in deren Rolle zu schlüpfen. Wenn es überhaupt eine Rolle gibt, in die wir schlüpfen würden, dann wäre das entweder die Wüste oder wir würden uns gegenseitig untereinander austauschen."

Auch gut. Was sagte Kollege Staude noch letzte Tage: "Die Band hat was!" Bloß was, das konnte er auch nach dem Genuss des Wüsten-Videos 'Green Machine' nicht näher definieren. Aber manchmal gibt es Dinge, die findet man einfach klasse und man kann nicht erklären, warum. Und genau dieses Ding heißt diesmal Kyuss und ist meine Hoffnung für das kommende Jahr. Genauso wie Kapuzen-Jacken mit abgeschnittener Kapuze. Lasst es euch gesagt sein. Frohes Fest.