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Autor: Andrea Nierandzik

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“JE OLLER JE DOLLER”

Zu den 'Jüngsten' haben sie ja noch nie gehört, aber mit der Hinzunahme von Ginger Baker dürften die MASTERS OF REALITY letztendlich das durchschnittliche Alter einer jeden Band, die gerade mal zwei Alben veröffentlicht hat, locker überrundet haben. Generationsprobleme? Von solchen scheint Gitarrist CHRIS GOSS noch nie gehört zu haben.

Verwirrungen ohne Ende, die sich im Vorfeld dieses Interviews abspielten. Masters Of Reality? Keine Ahnung, wann das neue Album hier in Deutschland veröffentlicht wird.

Als es dann endlich soweit war, ging's gleich weiter mit den Irrungen und Wirrungen, die dieses wunderbare Geschäft so mit sich bringen kann. Ob die Band nun zu Interviews kommt? Keine Ahnung, wenn aber, dann höchstwahrscheinlich nur nach England. Hm, auch okay. Der Londoner Korrespondent ist verwirrt: Die englische Firma sagt, daß dieBand nicht nach England, sondern nach Deutschland kommt.

Das Ende vom Lied: Die Masters Of Reality, beziehungsweise deren Sprachrohr ChrisGoss (g) kommen überhaupt nicht nach Europa, sondern bleiben mit dem Arsch im heimatlichen Amerika. Interviews geben sie trotzdem - am Telefon. Na prima, das hätteman wirklich einfacher haben können.

Lange Einleitung? Das ist doch noch gar nichts dagegen, wie lange unsereiner schon darauf gewartet hat, dieses Interview überhaupt führen zu können. Schließlich ist SUNRISE ON THE SUFFERBUS, so der Titel des 'neuen' Albums, schon eine ganze Weile in Amerika auf dem Markt, hat nur nie den Weg übers Wasser gefunden.

Plattenfirmenquerelen (Wechsel von Def American zu Delicious Records zu Chrysalis, hier: Phonogram), Line-Up-Wechsel (von der ursprünglichen Besetzung sind nur noch Goss und Bassist Googe geblieben), das übliche halt.

Viel spannender ist es, daß die Schlagzeug-Legende Ginger Baker (Ex-Cream) auf diesem Album zu hören ist und auch live mit von der Partie sein wird. Daß der alte Herr sich auch schon einmal von seiner idyllisch gelegenen Farm (mit Pferdezucht und allem pipapo) entfernt, um 'neuzeitlicheren' Lärmern Hilfestellung zu leisten, ist spätestens seit seiner Zusammenarbeit mit Ex-Sex Pistol Johnny Lydon und dessen Band Public Image bekannt. Ein Segen für die Masters Of Reality?

Nicht nur. Wenn in einem Magazin des westdeutschen Fernsehens denn schon tatsächlich einmal ein Bericht über Ginger Bakers Rückkehr auf das Schlagzeugpodest gesendet wird, allerdings o h n e, daß der Name der Band, die ihm das ermöglicht hat, genannt wird, ist das nicht nur ärgerlich, sondern wahrscheinlich schlicht und einfach die Regel im momentanen Ablauf der Band. Wie lebt es sich also mit so einer 'lebenden' Legende, auf die sich die ganze Aufmerksamkeit konzentriert?

Chris Goss: “Es wäre gelogen, würde ich sagen, daß mir das am Arsch vorbeigeht. Auf der anderen Seite ist es ohnehin müßig, sich darüber Gedanken zu machen. Wir müssen die Leute überzeugen - durch unsere Musik. Es war klar, daß die Tatsache, daß Ginger Baker bei uns spielt, einigen Wirbel verursacht; aber solange in der Band alles stimmt, geht das okay."

Ein Line-Up, das sämtliche Generationstheorien auf den Kopf stellt: Sind Goss und Googe auch nicht mehr unbedingt als Teenager zu bezeichnen (dürften so Mitte dreißig sein), ist Baker, äh, doch ein wenig älter...,

...nicht nur ein wenig!" unterbricht Goss, leicht gereizt. “Er ist ein ganzes Stück älter als wir. Aber das bereitet keinem von uns Probleme. Es ist gut so wie es ist. Das Alter spielt dabei überhaupt keine Rolle."

Kennengelernt hatte man sich übrigens auf einer Party, “auf der wir eine Jam Session gemacht haben; und das war so klasse, daß wir beschlossen, in dieser Besetzung weiterzumachen. Es hat einfach Spaß gemacht, und das ist es doch, warum man in diesem Business ist. Das war auch der Grund, warum das alte Line-Up auseinandergefallen ist, weil ein Teil der Band das Ganze plötzlich als einen Job betrachtete, und da gibt es sicher haufenweise andere Möglichkeiten als in einer Band zu spielen."

Von den üblichen Gepflogenheiten, die in der relativ kleinen Welt der Musikszene herrschen, scheint Chris Goss ohnehin nicht viel zu halten: “Das heutige Musikbusiness ist für die meisten nichts anderes als ein 'nine to five Job'; was ziemlich bizarr ist, überlegt man, daß früher die Leute in dieses Geschäft gekommen sind, weil sie genau das eben NICHT wollten.

Dann dieses Gerede, das jeder über jeden vom Stapel läßt. Ständig Klatsch und Tratsch - einfach grauenvoll. Ich halte mich davon so gut wie möglich fern, gehe lieber nach Hause zu meiner Frau und meinen drei Katzen. Ich finde das wesentlich inspirierender."

Allzu oft dürfte das im Moment allerdings auch nicht vorkommen, überlegt man, daß Chris Goss nicht etwa nur mit den Masters Of Reality, sondern auch am Mischpult sehr aktiv ist. Man denke beispielsweise an die erste Kyuss, die von ihm produziert wurde und deren Sound - ob gut oder schlecht, darüber erhitzen sich heute noch manche Gemüter -auf jeden Fall einzigartig war. Mit wem arbeitet er momentan?

Goss: ,,lch war soeben mit einer Band namens l Love You im Studio und habe außerdem kürzlich die Arbeiten an der zweiten Kyuss beendet. Der Sound ist immer noch der gleiche, so klingt die Band nun einmal, und ich finde nicht, daß man das ändern sollte; aber das Songwriting ist wesentlich besser geworden, sehr emotional und intensiv. Mit denen würde ich gerne einmal auf Tour gehen, nicht nur weil ich sie musikalisch klasse finde, sondern auch, weil sie gute Freunde von mir sind."

Ob nun mit oder ohne Kyuss - obwohl's wirklich ein Klasse-Package wäre - mag einmal dahingestellt sein, aber livemäßig scheinen die Masters Of Reality tatsächlich bald in Europa zuschlagen zu wollen. Goss nuschelt irgendwas von “September, ein paar Festivals und eine Club-Headliner-Tour", so richtig festlegen möchte er sich dennoch nicht. Bleibt zu hoffen, daß es klappt, denn - von einem Gig in Holland einmal abgesehen -wäre es das erste Mal, daß die Band hier live wirklich etwas zu reißen versucht.

Im Grunde könnte es gut laufen für die Masters Of Reality, die plötzlich - und mit Sicherheit nicht beabsichtigt - voll im Trend der Neo-Hippie-Bewegung liegen mit SUNRISE ON THE SUFFERBUS, einer der wenigen wirklich authentischen 'Hippie'-Scheiben, die in der 'Neuzeit' veröffentlicht worden sind. Einzige Gefahr, und das wäre dann wirklich zynisch: Vielleicht ist das Ding auch schon wieder zu authentisch, als daß das Schlaghosentragende, meist von dem eigentlichen Flower/Power-Gedanken eher uninspirierte Volk, das diesen Sommer:durch unsere Städte flaniert, sich damit identifizieren könnte.

Tja, und Goss, würde ihn das stören? “Nein, nicht sehr. Ich liebe meine Musik, kann einigermaßen davon leben - das reicht mir eigentlich."

Außerdem sind da ja immer noch seine Frau und die drei Katzen, und was würden die machen, wenn's tatsächlich abgehen sollte und der gute Mann kaum noch Zeit hätte, bei ihnen vorbeizuschauen...?