Cover Rockhard

 

Interview © Rockhard

Januar 1991

von Chris Leibundgut

 

Blaues Wunder gefällig?

 

Mal ehrlich, wieviele Acts treten in diesen Tagen noch mit einem Debutalbum an die Öffentlichkeit, das auch nur halbwegs originell klingt? Einmal abgesehen von Gruppen wie Kings´s X, Warrior Soul oder Primus ist es in letzter Zeit kaum einer Band gelungen, wirklich neue Akzente in der HM/HR-Szene zu setzen. Nicht vergessen sollte man in diesem Zusammenhang MASTERS OF REALITY, eine Truppe, deren Namen zwar auf einen Billigen Black Sabbath-Rip-Off schließen lässt, wovon man ab zum Glück meilenweit entfernt ist.

Einen Sabbath-Einfluss ist zwar unverkennbar – der Bandname kommt also doch nicht ganz von ungefähr – aber davon mal abgesehen verarbeitet das Quartett um Mainmann Chris Goss vor allem Blues – und Psychedelic-Elemente – Cream, Doors, ZZ Top und Pink Floyd, um genauer zu sein- zu einem wirklich eigenständigen Stil. Beweis dafür ist „Blue Garden“, der erste Longplayer der New Yorker, der vor gut 2 Jahren bei Def American erschien und der Gruppe vor allem in den USA euphorische Kritiken einbrachte.

Doch schon bald darauf kam das vermeintliche Aus für MASTERS OF REALITY, als sich nämlich Sänger/Gitarrist Chris Goss und Bassist Googe im Anschluss an die Tour als Support von Kings´s X vom Rest der Band trennten.

2016 Rockhard Masters of Reality 1990

Für die nächsten Monate herrschte absolute Funkstille, während die beiden in L.A. in aller Ruhe Musiker für ein neues MOR-Line-Up antesteten. Nach langen Suchen entschied man sich für Daniel Rey, der schon für Leute wie Iggy Pop als Gitarrist tätig war und außerdem als Produzent mit Bands wie Raging Slab gearbeitet hat, und Drummer John Leamy, der so ganz nebenbei für das fantastische Cover von „Blue Garden“ verantwortlich war. Außerdem unterzeichnete man einen neuen Plattenvertrag bei Delicious Vinyl/Island, die von der Gruppe so angetan waren, dass sich das Label dazu entschloss, die Debut-LP inklusive Bonustrack „Doraldinas´s Prophecies“ in einem neuen Cover nochmals in die Läden zu bringen. Grund genug für uns, diese Band mal ein bisschen näher vorzustellen, zumal MASTERS OF REALITY vor allen in europäischen Breitengraden noch ein ziemlich unbeschriebenes Blatt sind…

Chris hatte der Bandsplit vor einem Jahr etwas damit zu tun, das du von Upstate New York nach Los Angeles ziehen wolltest?

„Nein eigentlich nicht. Ich wohne schon eine ganze Weile in L.A. bevor es zur Trennung kam. Dadurch sah ich die anderen zwar nur noch zum Touren, aber darin sah ich nie ein Problem. Ausschlaggebend für den Split war vielmehr die Tatsache, dass wir schon sehr lange zusammen waren und die Sache am Ende nicht mehr auf einen gemeinsamen Nenner bringen konnten. Mit Tim Harrington  spiele ich 8 Jahre, und während einer solch langen Zeit passiert ebenso einiges.“

Ihr habt mit den neuen Leuten Daniel Rey und John Leamy bereits ein paar Shows absolviert. Wie seid ihr an die beiden gekommen?

„Dazu muss ich vorab gleich mal was sagen. John ist nicht mehr bei uns, denn seit neuesten ist Ginger Baker unser Drummer…“

Was?!?! (Für alle, die es nicht wissen: Ginger Baker bildete in den späten Sechzigern zusammen mit Eric Clapton und Jack Bruce die legendären CREAM!)

„Ich weiß, ich kann es selbst kaum glauben! Kennengelernt habe ich Ginger über einen gemeinsamen Freund. Irgendwann jammten wir einfach mal zusammen, und es klappte auf Anhieb hervorragend zwischen uns. Ich stehe völlig auf die Art und Weise, wie Ginger Schlagzeug spielt- wir liegen musikalisch voll auf einer Wellenlänge.

Hat John Leamy denn die Band verlassen, weil er sich lieber der Malerei widmen wollte, oder musste er den Platz einfach für Ginger räumen?

„John machte seine Sache sehr gut, aber ich konnte mir die Gelegenheit, mit Ginger Baker zu arbeiten, einfach nicht entgehen lassen. Auf jeden Fall bin ich John sehr dankbar, denn er ist extra nach L.A. gekommen, um uns bei all diesen Shows auszuhelfen.

Wir kennen uns noch von der Syracuse University her, wo John Kunst studierte und ich ihn über ein paar andere Musiker kennenlernte. Es stellte sich dann schnell heraus, dass wir so ziemlich auf die gleiche Art von Musik standen und dass er nicht nur ein ziemlich guter Maler, sondern auch ein exzellenter Drummer war.

Bei Daniel Rey war es so, dass ich ihn vor ein paar Jahren mal live in New York sah, als er noch bei Dick Manitoba spielte. Ich fand ihn großartig, aber dann hörte ich, dass er die Gitarre an den Nagel gehängt hätte, um sich ausschließlich auf das Produzieren zu konzentrieren.

Ein Freund von mir erfuhr dann, dass Daniel hie in L.A. war und schlug vor, dass wir zumindest mal zusammen jammen sollten. Ich wollte nichts lieber und die Session verlief so gut, dass wir Daniel baten, bei uns einzusteigen.

Zwar hatten wir schon eine ganze Menge Leute angetestet, wobei die meisten wirklich sehr gut waren, was die Wahl für uns nicht gerade leichter machte. Daniel und John machten schließlich das Rennen, bis sich dann eben die Möglichkeit ergab, Gin in der Band zu haben.“

Hat sich euer Bandsound irgendwie verändert, seit Daniel und Ginger dabei sind?

„Ja, es sind bereits gewisse Veränderungen festzustellen, was großartig ist. Unsere Musik entwickelt sich langsam aber sicher in eine Richtung, wie sie mir nun schon seit ein paar Jahren vorschwebt. Das Material auf unserer nächsten LP wird auf jeden Fall ziemlich wild sein. Momentan arbeiten wir immer noch an den Songs, die Platte selbst möchten wir gerne bis zum nächsten Frühling auf den Markt haben.“

Habt ihr Tourpläne, jetzt, wo Delicious Vinyl „Blue Garden“ wiederveröffentlicht haben?

„Ja, wir starten in den nächsten Tagen eine Headliner-Tour, die an der Ostküste beginnt. Vorerst spielen wir aber noch ein paar Warm-up-Shows in der Umgebung von L.A.“

Warum habt ihr überhaupt Def American verlassen und bei Delicious Vinyl unterschrieben?

„Nachdem Googe und ich uns von Tim und Vinnie trennten, war erstmal vieles unklar, was die Zukunft von MASTERS OF REALITY betraf. Genau zu jenem Zeitpunkt traten Delicious Vinyl an mich heran und fragten, ob ich nicht ein neues MOR-Line-Up zusammenstellen könnte und bei Ihnen unterschreiben könnte. Sie waren dann auch in der Lage, für alle beteiligten Parteien – Tim, Vinnie und Def American – eine akzeptable Lösung zu finden.

Wir haben uns also nicht im Streit von Def American getrennt. Ich sehe Rick Rubin immer noch dann und wann, und wir reden auch miteinander. Wahrscheinlich hätte ich auch weiterhin Platten für Rick gemacht, wenn Delicious Vinyl nicht mit diesem Angebot angekommen wären.“

Was rechnet ihr euch denn mit der Wiederveröffentlichung von „Blue Garden“ für Chancen aus?

„Ich glaube, es sieht ziemlich gut für uns aus. Def American veröffentlichten vor einem Jahr „Blue Garden“ als Single, die vor allem bei den College-Radiostationen ziemlich gut lief, obwohl das Stück alles andere als ein leicht verdaulicher Radiosong war. Delicious Vinyl haben nun den „Candy Song“ den Vorzug gegeben, worauf die Reaktionen in vielen Teilen des Landes besser waren. Ich glaube, das Stück war eine gute Wahl für diese Jahreszeit, weil es eben ein Sommerlied ist. Damit haben wir sogar einiges an Airplay bei großen AOR-Stationen bekommen, die wir vorher nicht erreichen konnten. Das „Problem“ bei unserer LP ist, dass sich die Songs sehr voneinander unterscheiden.

Folglich spielt nicht jede Station das gleiche Stück, was den Marketingplan ziemlich über den Haufen wirft. Darauf bin ich allerdings fast schon wieder ein bisschen stolz. Ich wünsche mir, die Leute würden nicht immer in diesen Schubladen denken und das Radio würde aufhören, immer alles zu katalogisieren. Im Grunde genommen ist doch eh alles Rock ´n ´Roll! Ich sehe absolut nicht ein, wieso man nicht The Cure und Led Zeppelin Seite an Seite mit Metallica und MASTERS OF REALITY spielen kann.

Glaubst du, dass ihr irgendwann mal ähnlich erfolgreich sein werdet wie z.B.  Faith No More oder die Red Hot Chili Peppers, die beide auch außerhalb der Norm liegen und trotzdem viel verkaufen?

Ich weiß nicht. Wenn es nicht klappt, dann vielleicht deshalb, weil ich nicht in Shorts auf der Bühne rumrenne!“ (Wenn das nicht die Antwort des Jahres ist Leute!)

MASTERS OF REALITY existieren bereits seit sieben Jahren, bevor die Band gesigned wurde. Warum glaubst du, hat es so lange gedauert, bis euch jemand unter Vertrag nahm?

„Das Hauptproblem war, dass wir in Syracuse, weg von den Musikzentren, wohnen. Wären wir in eine Stadt wie z.B. New York gezogen, hätte es mit einem Deal bestimmt schon früher geklappt. Allerdings stellten wir die Band auch gar nicht mit dem Ziel zusammen, möglichst schnell gesigned zu werden. Wir hatten einfach Spaß am Musikmachen und im Handumdrehen waren fünf, sechs Jahre vergangen, ohne dass wir uns ernsthaft um einen Deal bemüht hätten. Mit der Zeit sprach sich aber herum, dass an uns was dran war. Folglich bekamen wir immer mehr Einladungen, in anderen Städten zu spielen, und auch die A&R-Leute zeigten verstärktes Interesse.

Im Grunde wussten wir, dass wir die Sache nach unseren Vorstellungen durchziehen konnten. Kompromisse für die Plattenfirma hätten wir nie gemacht.“

Wie stehst Du zum Thema „Video“ – etwas, worüber vor allen Newcomer-Bands kaum Kontrolle haben, sondern irgendein Konzept vor die Nase gesetzt bekommen?

„Ich selbst finde diesen Aspekt sehr störend, aber irgendwie muss man dieses ganze Spiel mitmachen, weil MTV einfach einen sehr großen Einfluss auf die Karriere einer Band haben kann. Trotzdem verschwende ich meine Energie nicht für ein Video. Am liebsten bringe ich sowas so schnell und billig wie möglich  hinter mich, denn mit Musik hat das Ganze in meinen Augen herzlich wenig zu tun.“

Allzu kamerascheu könnt ihr aber doch nicht sein, jedenfalls habt ihr vor ein paar Monaten in einem Film mitgemacht. Wie kam es dazu?

„Jemand von Delicious Vinyl hatte den Auftrag, den Soundtrack für den Firm zusammenzustellen. Bei dem Streifen handelt es sich um „Marked For Death“ mit Steven Seagal in der Hauptrolle, der einen Detektiv spielt. Im Film kommt eine Szene vor, die in einer Bar spielt. Ich erfuhr, dass dazu eine Band gesucht wurde und schlug uns vor, vor allem, weil sich dabei ganz gut Geld verdienen ließ. Am Ende kamen für jeden Tag, den wir auf dem Set verbrachten, 500 Dollar pro Bandmitglied raus.“

Stimmt es, dass euch dabei Roger Romeo von Legs Diamond an der Gitarre aushalf?

„Ja, Roger ist ein guter Freund von mir. Ich lernte ihn vor Jahren durch meine Frau Cynthia kennen, und jetzt ist er eben mit uns im Film. Übrigens spielen wir in dieser Barszene den Song „Domino“, aber zu sehen sein werden wir wohl kaum, jedenfalls nicht aus der Nähe. Ich habe ein paar Ausschnitte gesehen, in denen wir klein wie Ameisen sind, während im Vordergrund die Action mit Steven Segal abläuft.“

Außerdem hast du noch auf der Reverend-EP beim Song „Power Of Persuation“ ein Gastspiel gegeben…

„David Wayne ist ein alter Bekannter meiner Frau, die schon seit mehr als zehn Jahren im Musikbusiness tätig ist. Durch sie habe ich eine ganze Menge cooler Leute kennengelernt. Vor allem hier in L.A. ist es sehr hilfreich, wenn man jemanden kennt, der Connections hat. Dadurch trifft man noch am ehesten auf Manschen, die noch wirklich in Ordnung sind.

Dave Wayne ist ein guter Kumpel von mir, und er fragte mich einfach mal, ob ich nicht Lust hätte, im Studio vorbeizukommen und ein paar Vocals beizusteuern, was ich dann auch gerne tat.“

 Bliebe eigentlich nur noch der Aufruf an alle toleranten Fans, sich die erste Langrille der Meister doch mal in aller Ruhe reinzuziehen, den „Blue Garden“ gehört auf jeden Fall zu den originellsten Scheiben der letzten Zeit, und noch so mancher könnte dabei sprichwörtlich sein blaues Wunder erleben!